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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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Übertreibungen«, schrieb Bartolomeo an einen einflussreichen
Gönner in Italien, »möge ich verschont bleiben davon, meinen Stolz aus Träumen der Selbstüberhebung oder eitlem Ruhm zu ziehen.« Im Anschluss an diesen Stoßseufzer berichtet der Brief, datiert auf den 19. Januar 1417 in St. Gallen, von einigen bemerkenswerten Entdeckungen, die er dort gemacht habe, im, wie er es nennt, »Gefängnis«, in das sie eingeschlossen seien. Er könne gar nicht hoffen, alle Bände zu beschreiben, die er entdeckt habe, »denn ein Tag würde wohl kaum genügen, sie alle aufzuzählen«. Nicht einmal – und das ist wohl bezeichnend – erwähnt er den Namen seines Reisegefährten Poggio Bracciolini. 14
    Doch Bartolomeo hatte ein Problem: Sonderlich aufregend waren seine Funde nicht. Er hatte die Kopie eines Buches von Flavius Vegetius Renatus über die römische Armee ans Licht geholt – ein Buch, das, wie er nicht sehr überzeugend schrieb, »uns gute Dienste tun wird, wenn wir es jemals in einem Lager oder, rühmlicher, in einem Feldzug verwenden werden«  – und ein kleines Wörterbuch, eher eine Wortliste von Pompeius Festus. Beide Schriften waren nicht nur ziemlich unbedeutend, sondern, wie auch Bartolomeo gewusst haben wird, in Italien bereits verfügbar.
    Nachdem es ihnen nicht gelungen war, die großen Schätze zu ergattern, auf die sie gehofft hatten, vielleicht auch, weil sie die Last ihrer Konkurrenz spürten, gingen die Freunde ab Ende Januar 1417 getrennte Wege. Poggio wandte sich schließlich nach Norden, möglicherweise in Begleitung eines deutschen Schreibers, den er ausbildete. Bartolomeo wollte wohl auf eigene Faust weitersuchen, zumindest schrieb er seinem italienischen Briefpartner: »Ich werde mich auf den Weg zu einem anderen Kloster machen, zu einem Eremitenorden tief in den Alpen.« Er plante wohl auch, von dort aus weitere, noch entlegenere Klöster aufzusuchen. Es waren extrem schwer zu erreichende Orte, besonders im Winter – »der Weg holprig und kaputt, es gibt keinen anderen Weg dorthin als durch die Schluchten der Alpen und durch Flüsse und Wälder« –, aber, so tröstete er sich, »der Pfad der Tugend ist voller Mühe und Gefahr«. Gerade von den Bibliotheken dieser Klöster gehe die Rede, es lägen dort wahre Schätze alter Bücher vergraben. »Ich werde versuchen, diesen armen kleinen Körper anzutreiben, dass er es auf sich nimmt, sie zu retten, und nicht zurückschreckt vor den Hindernissen ihres Standorts, vor den Unbequemlichkeiten und der in den Alpen zunehmenden Kälte.« 15

    Man wird sich ob dieses Lamentos ein Lächeln schwer verkneifen können  – und Bartolomeo, als Anwalt ausgebildet, verstand sich gewiss auf rhetorische Effekte –, doch der arme Kerl erkrankte, kaum hatte er St. Gallen verlassen, und musste nach Konstanz zurückkehren, wo er Monate brauchte, um sich zu erholen. Poggio auf seinem Weg nach Norden wird davon nichts gewusst haben; seit Bartolomeo ihre Jagdgemeinschaft verlassen hatte, war er allein auf Suche.
     
    Von Mönchen hielt Poggio nicht viel. Einige beeindruckende Gestalten, Männer von moralischem Ernst und großer Bildung, kannte er wohl, die Mehrheit jedoch fand er abergläubisch, unwissend und hoffnungslos faul. Klöster galten ihm als Orte, an denen man all jene ablud, die für ein Leben in der Welt nicht taugten. Adlige brachten dort die Söhne unter, die sie für Schwächlinge, für Sonderlinge oder Nichtsnutze hielten; Kaufleute schickten ihre minderbemittelten oder geistesschwachen Kinder dorthin; und Bauern wurden auf diese Weise Mäuler los, die sie nicht füttern konnten. Die Robusteren unter den Klosterinsassen konnten zumindest in den Klostergärten und auf den Feldern produktive Arbeit verrichten, so wie es die Mönche in früheren, kargeren Zeiten getan hatten, die meisten jedoch hielt Poggio für einen Haufen von Müßiggängern, für Schmarotzer, die hinter dicken Mauern ihre Gebete murmelten und von dem lebten, was auf den ausgedehnten Ländereien der Klöster erwirtschaftet wurde. Die Kirche war Grundbesitzerin, als solche reicher als die mächtigsten Fürsten im Reich, und sie verfügte auch über die weltliche Macht, Pacht und Zins einzutreiben sowie ihre anderen Rechte und Privilegien durchzusetzen. So führte man den Bischof von Hildesheim, als er kurz nach seiner Wahl die Bibliothek seiner Diözese zu sehen wünschte, in die Rüstkammer und präsentierte die Piken und Streitäxte, die dort an der Wand hingen. Das, so

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