Wende
seinen Namen, das Datum und den Ort, an dem er arbeitete. Wieder ein anderer schrieb: »Jetzt habe ich das ganze Stück abgeschrieben, gebt mir, um Christi willen, einen Trunk.« 19
Das feinste Pergament, das den Schreibern das Leben einfacher machte und von dem sie gewiss träumten, war Vellum, das aus Kalbshäuten hergestellt wurde. Die allerbeste Qualität stammte von totgeborenen Kälbern. Leuchtend weiß, weich und lichtbeständig waren diese Häute den wertvollsten Büchern vorbehalten, die dann auch mit Miniaturen geschmückt wurden, die sorgfältig ausgeführt Gemmen glichen, gelegentlich wurden sie auch zwischen Buchdeckel gebunden, die mit echten Gemmen besetzt waren. Bis heute beherbergen Bibliotheken aus aller Welt eine beträchtliche Zahl dieser bemerkenswerten Objekte, Erzeugnisse von Schreibern, die vor sieben- oder achthundert Jahren ungezählte Stunden damit verbrachten, etwas besonders Schönes zu schaffen.
Gute Schreiber wurden von bestimmten Gebeten der Gemeinschaft freigestellt, damit sie das Tageslicht möglichst viele Stunden lang im Skriptorium nutzen konnten. Des Nachts mussten sie nicht arbeiten: Aus
gewiss berechtigter Angst vor Feuer waren alle Kerzen verboten. Doch für die Zeit, die sie tatsächlich an ihren Pulten verbrachten – etwa sechs Stunden täglich –, gehörte ihr Leben allein den Büchern. Zumindest in bestimmten Klöstern ließ sich hoffen, dass die Mönche verstanden, was sie kopierten: »Segne, o Herr, diese Werkstatt Deiner Diener«, so die Widmung eines Skriptoriums, »auf dass alles, was sie hier drinnen schreiben, von ihrem Geist erfasst und in ihren Arbeiten realisiert wird.« 20 Streng genommen aber kam es nicht darauf an, dass sich die Schreiber für die Bücher, die sie kopierten, interessierten (oder ob sie, umgekehrt, deren Inhalte ablehnten). Das Kopieren war eine Art geistiger Zucht – ein Exerzitium in Demut und williges Ertragen von Pein –, darum kann es wohl sein, dass man Abscheu oder auch nur Unverständnis dem Interesse an einem Text vorgezogen haben wird. Neugier jedenfalls war um jeden Preis zu vermeiden.
Völlige Unterwerfung des kopierenden Mönchs unter den Text, Ausblenden von Verstand und Gefühl, um schließlich den Geist des Mönchs zu brechen – nichts hätte Poggio und seiner begierigen Neugier, seinem Egoismus ferner liegen können. Andererseits aber war ihm schon klar, wie sehr seine leidenschaftliche Hoffnung, möglichst genaue Spuren der antiken Vergangenheit aufdecken zu können, von eben jener Unterordnung abhing. Ein interessierter Leser, das wusste Poggio, war geneigt, einen Text zu ändern, um ihn besser verständlich zu machen, doch hätten solche Veränderungen über die Jahrhunderte hinweg zu kräftigen Verfälschungen geführt. Insofern war es besser, wenn die Klosterskriptoren gezwungen wurden, alles genau so zu kopieren, wie sie es vor Augen hatten, auch das, was ihnen partout unverständlich oder sinnlos schien.
Ein Bogen mit einem Fensterausschnitt bedeckte die Seite der zu kopierenden Handschrift, sodass der kopierende Mönch sich auf jeweils nur eine Zeile konzentrieren konnte. Und es war den Kopisten strikt verboten zu ändern, was ihnen als Fehler des Textes erschien, den sie abzuschreiben hatten. Nur wenn sie selbst sich verschrieben hatten, durften sie den Fehler durch Wegkratzen löschen und die Stelle dann mit einer Mixtur aus Milch, Käse und Kalk ausbessern, der mittelalterlichen Version der Korrekturflüssigkeiten, die wir heute kennen. Eine Seite zu zerknüllen und neu zu beginnen kam nicht in Frage. Selbst wenn es genug Schaf- und Ziegenhäute
gab, war es mühsam, Pergament daraus zu machen. Gutes Pergament war zu wertvoll und zu selten, als dass man es hätte wegwerfen können. Dieser Wert lässt uns verstehen, warum Klöster uralte Handschriften sammelten und sie nicht auf den Müll warfen.
Natürlich gab es einige Äbte und Klosterbibliothekare, die nicht nur das Pergament bewahren wollten, sondern auch die heidnischen Schriften, die darauf geschrieben waren. Sie hatten klassische Texte gelesen, waren durchdrungen von dieser Literatur und glaubten auch, dass man deren Schätze durchstöbern könne, ohne Schaden zu nehmen, so wie Gott den alten Hebräern erlaubt hatte, die Reichtümer der alten Ägypter zu stehlen. Doch als über Generationen hinweg schließlich doch eine reiche christliche Literatur entstanden war, ließ sich immer schlechter auf diese Weise argumentieren. Immer weniger Mönche
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