Wende
heiligen Bonifatius, dem Apostel Deutschlands, gegründet, erfreute sich diese Abtei einer ungewöhnlichen Unabhängigkeit. Der Abt war Fürst des Heiligen Römischen Reiches: Wenn er an einer Prozession teilnahm, trug ihm ein Ritter in voller Rüstung das Reichsbanner voran; zudem genoss er das Privileg, zur Linken des Kaisers zu sitzen. Viele seiner Mönche waren Abkömmlinge deutscher Fürsten – Männer, die sehr genau wussten, welchen Respekt man ihnen schuldig war. Das Kloster mochte einiges von dem Renommee verloren haben, dessen es sich einst erfreute, hatte zudem vor nicht allzu langer Zeit einen Teil seines immensen Grundbesitzes aufgeben müssen, dennoch war es eine Macht, mit der man rechnen musste. Poggio dagegen war von bescheidener Herkunft, verfügte über sehr beschränkte Mittel, war apostolischer Sekretär eines Papstes gewesen, der in Ungnade gefallen und abgesetzt worden war – nein, Poggio verfügte nicht gerade über gute Karten.
Nehmen wir an, Poggio näherte sich dem Kloster Fulda. Er wird abgestiegen, zu Fuß über die dreispurige Auffahrt auf das einzige schwere Tor des Klosters zugegangen sein, sich dabei im Kopf die kleine Rede zurechtgelegt haben, mit der er sich vorzustellen gedachte. Von außen erinnerte das Kloster an eine Festung, und tatsächlich war es im Jahrhundert zuvor, im Lauf eines Konflikts mit den Bürgern der angrenzenden Stadt Fulda, heftig angegriffen worden. Hinter seinen Mauern war es, wie die meisten Klöster, erstaunlich autark. Es war Januar, die ausgedehnten Gemüse-, Blumen- und Kräutergärten lagen im Winterschlaf, aber die Mönche werden sorgfältig eingebracht haben, was ihre Speicher und Lager für die langen dunklen Wintermonate füllte; besondere Sorgfalt werden sie auf die Heilkräuter verwendet haben, die in der Krankenstation und im Badehaus Verwendung fanden. In diesem Wintermonat werden die Speicher noch ordentlich gefüllt gewesen sein, wird es für die Pferde und Esel in den Ställen ausreichend Hafer und Stroh gegeben haben.
Wenn er sich hat umsehen können, dann werden Poggio Hühnerställe, ein überdachter Hof für die Schafe, die Kuhställe mit ihrem Geruch nach Mist und frischer Milch, die großen Schweinekoben nicht entgangen sein. Vielleicht hätte er plötzlich Sehnsucht verspürt nach den Oliven und dem Wein der Toskana, doch hungrig, dessen konnte er sich sicher sein, würde er auch hier nicht wieder von dannen ziehen. An Mühlen und Ölpressen, an der großen Basilika mit dem angrenzenden Kreuzgang vorbei, vorbei auch an den Gebäuden für die Novizen, am Dormitorium und an den Unterkünften der Knechte, am Hospiz für Pilger, in dem er und sein Assistent beherbergt werden würden, wurde Poggio zum Haus des Abtes geführt, wo er dem Herrscher dieses kleinen Königreichs seine Aufwartung zu machen hatte.
1417 wäre das, wenn Poggio tatsächlich nach Fulda geritten ist, Johann von Merlau gewesen. Er wird den Abt demütig begrüßt, einiges zu seiner Person gesagt und das Empfehlungsschreiben eines bekannten Kardinals präsentiert, sodann ganz gewiss den Wunsch geäußert haben, einen Blick auf die kostbaren Reliquien des heiligen Bonifatius werfen zu dürfen und in ihrer heiligen Gegenwart zu beten. Auch sein Leben war bestimmt von solchen Regeln und Gepflogenheiten; auch die Beamten des päpstlichen Hofes begannen und beendeten ihren Tag gewöhnlich mit Gebeten. Und selbst wenn in seinen Briefen nichts von einem besonderen Interesse an Reliquien oder Heiligenverehrung oder anderen Ritualen kündet, mit denen sich die schmerzliche Zeit einer Seele im Fegefeuer verkürzen ließ, so wird Poggio natürlich gewusst haben, auf welche Besitztümer das Kloster in Fulda vor allem stolz war.
Um dem Besucher eine besondere Gunst zu erweisen, hätte man ihn gewiss in die Basilika geleitet. Wenn es ihm nicht längst aufgefallen war, wird Poggio nun, nachdem er das Querhaus betreten hatte, die Stufen zur dunklen, gewölbten Krypta hinuntersteigend erkannt haben, wie vertraut ihm Fuldas Wallfahrtskirche vorkam: Sie war Roms Petrus-Basilika aus dem vierten Jahrhundert genau nachgebaut. (Der riesige Petersdom im heutigen Rom entstand erst lange nach Poggios Tod.) Im Kerzenlicht der Krypta, in einem reich mit Gold, Kristall und Edelsteinen geschmückten Schrein, konnte Poggio die Gebeine des heiligen Märtyrers sehen, den die Friesen, die er missionieren wollte, 754 umgebracht hatten.
Nachdem er und seine Gastgeber wieder zum Tageslicht
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