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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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selbst denjenigen, die in größter Sicherheit lebten, wird es schwergefallen sein, einem von Epikurs berühmten Aphorismen zu widersprechen: »Gegen alles andere ist es möglich, Sicherheit zu erreichen, doch wenn es um den Tod geht, leben wir Menschen in einer Stadt ohne Stadtmauern.« 41 Worauf es vor allem anderen ankam, legte Epikurs Schüler Lukrez in Versen von unüberbotener Schönheit dar: Man müsse vom ängstlichen und verzweifelten Versuch lassen, immer höhere Mauern zu bauen, und sich stattdessen der Verfeinerung von Lebenslust und Glück zuwenden.
    O wie arm ist der Menschen Verstand, wie blind ihr Verlangen! In welch finsterer Nacht und in wie viel schlimmen Gefahren Fließt dies Leben, das bißchen, dahin! Erkennt man denn gar nicht, Daß die Natur nichts anderes erheischt, als daß sich der Körper Wenigstens frei von Schmerzen erhält und der Geist sich beständig Heiteren Sinnes erfreut und Sorgen und Ängsten entrückt ist?
    ( Von der Natur , 2:14–19)

KAPITEL SIEBEN
SO FÄNGT MAN FÜCHSE
    W enn ein Mann der Kurie dem Papst als apostolischer Sekretär dienen konnte, hatte er den Gipfel ehrgeizigen Strebens erklommen. Und Poggio hatte, obwohl er erst Anfang dreißig war, diesen Weg aus dem Nichts an die Spitze der Meute allein durch sein Geschick geschafft. Diese Meute wirbelte zu jener Zeit ziemlich durcheinander: diplomatische Manöver, komplexe Transaktionen, Invasionsgerüchte, Jagd auf Häretiker, Drohungen, Finten und doppeltes Spiel – Baldassare Cossa, der sich Papst Johannes XXIII. nannte, erwies sich als Meister der Intrige. Und Poggio ständig mitten drin. Denn nun konnte er Einfluss nehmen darauf, wer Zugang zum Papst erhielt, er verarbeitete entscheidende Nachrichten und Informationen und leitete sie weiter, nahm Notizen auf, formulierte Strategien aus, die nur grob skizziert vorlagen, setzte Sendschreiben an Fürsten und Potentaten auf, natürlich in Latein. Er war Mitwisser von Geheimnissen und strategischen Vorhaben, denn als apostolischer Sekretär musste er eingeweiht werden in die Absichten seines Herrn, musste wissen, was dieser mit den zwei Rivalen und ihren Ansprüchen auf den Heiligen Stuhl vorhatte, 1 was mit Sigismund, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der entschlossen schien, das Schisma zu beenden, was mit den Ketzern in Böhmen, was mit den benachbarten Mächten, die entschlossen schienen, Territorien zu besetzen, die die Kirche beanspruchte. Die schiere Menge der Arbeit auf Poggios Tisch muss erdrückend gewesen sein.
    Dennoch fand er damals Zeit, Ciceros De legibus (Über die Gesetze) in seiner wunderschönen Handschrift zu kopieren, drei umfangreiche Bücher, dazu noch dessen Rede über Lucullus. (Die Handschrift liegt in der Vatikanischen Bibliothek: Cod. Vatican. lat. 3245.) Irgendwie muss es ihm also gelungen sein, sich Augenblicke dessen zu sichern, was er seine Freiheit
nannte. Doch jedesmal, wie es scheint, hat diese Freiheit – der Sprung zurück in die antike Vergangenheit – seine Entfremdung von der Gegenwart verstärkt. Dabei sollte klar sein, dass ihn seine Liebe zum klassischen Latein nicht verleitete, die Geschichte des alten Rom zu verklären: Poggio hatte verstanden, dass Geschichte ihr volles Maß an menschlicher Torheit und Verruchtheit brauchte. Ebenso klar aber stand ihm vor Augen, dass die Stadt, in der er lebte, nur mehr ein erbärmlicher Abklatsch ihres versunkenen Glanzes war.
    Die Bevölkerung Roms, ein Bruchteil ihrer einstigen Zahl, lebte in verstreuten Siedlungen, von denen sich eine auf dem Kapitol befand, wo sich einst der mächtige Jupiter-Tempel erhob, eine andere in der Nähe des Lateran, wo der alte kaiserliche Palast stand, den Konstantin dem Bischof von Rom überlassen hatte, eine dritte drängte sich um die Peter-Basilika aus dem vierten Jahrhundert. Zwischen diesen Siedlungen dehnte sich Ödnis: Ruinen, Hütten, steinige Felder und Kapellen der Märtyrer. Auf dem Forum blökten grasende Schafe. Bewaffnete Schlägerbanden, einige von reichen Familien bezahlt, andere auf eigene Faust unterwegs, machten die Straßen unsicher; jenseits der Stadtmauern lauerten Banditen. 2 Es gab so gut wie kein Gewerbe, nur wenig Handel, dazu fehlte eine aufstrebende Klasse geschickter Handwerker und Stadtbürger, damit auch Bürgerstolz und Aussicht auf bürgerliche Freiheit. Dem, der Geschäfte machen wollte, blieben nur der Handel mit ausgegrabenen Metallklammern, die einst die Gebäude zusammengehalten hatten, und das Ablösen

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