Wende
an der Organisation des höchst einträglichen Jubeljahres war er beteiligt. Allen, die in diesem Jahr zu Roms Hauptkirchen pilgerten, war vollkommener Ablass garantiert, Erlass der fürchterlichen Pein des Fegefeuers, das Sündern nach dem Tod drohte. Dichte Menschenmengen füllten die Stadt, belebten das Geschäft der Gasthäuser, Tavernen und Bordelle, wälzten sich über die engen Brücken, beteten in den Kapellen der Heiligen, entzündeten Kerzen, gafften auf wundertätige Bilder und Statuen, kehrten nicht ohne Andenken und Talismane nach Hause zurück.
Ursprünglich sollte ein solches Jubeljahr nur einmal im Jahrhundert gefeiert werden, doch die Nachfrage war so groß und die daraus wachsenden Einnahmen so immens, dass das Intervall zuerst auf fünfzig, dann auf dreiunddreißig und schließlich auf fünfundzwanzig Jahre verkürzt wurde. Im Jahr 1400, kurz bevor Poggio auf der Szene auftauchte, brachte die
große Zahl der Pilger, die der Beginn eines neuen Jahrhunderts nach Rom gezogen hatte, den Papst dazu, erneut vollständigen Ablass zu verkünden, obwohl seit dem letzten Jubeljahr gerade erst ein Jahrzehnt vergangen war. Um dieses Geschäft noch einträglicher zu machen, entwickelte die Kirche eine Vielzahl von Angeboten, an denen sich Cossas praktische Intelligenz erkennen lässt. Zum Beispiel konnten Gläubige, wenn sie in den Genuss der Wohltaten kommen wollten, die eine Pilgerreise nach Rom versprach – Erlass der nach dem Tod zu erwartenden tausendjährigen Qualen im Fegefeuer –, gleichwohl aber die schwierige Reise über die Alpen vermeiden wollten, von nun an den gleichen Ablass erhalten, wenn sie bestimmte heilige Stätten in Deutschland aufsuchten – vorausgesetzt, sie zahlten der Kirche, was die längere Reise gekostet hätte. 5
Cossas Begabungen beschränkten sich nicht auf derart pfiffige Marketingideen. Er erwies sich auch, nachdem er als päpstlicher Statthalter nach Bologna entsandt worden war, als höchst erfolgreicher Befehlshaber, im militärischen wie im zivilen Bereich, des weiteren als packender Redner. In vielerlei Hinsicht verkörperte er genau die Eigenschaften – rege Intelligenz, Beredsamkeit, Mut und Tatkraft, Ehrgeiz, Sinnlichkeit, unerschöpfliche Energie –, die zusammen das Ideal eines Renaissancemannes ausmachten. Doch selbst für Zeitgenossen, die gewohnt waren, dass eine Lücke klaffen konnte zwischen religiöser Berufung und gelebten Realitäten, erschien der Kardinaldiakon von Bologna, so Cossas Titel, als Ausnahmegestalt in Kirchengewändern. Er war, wie Poggios Freund Bruni bemerkte, ein äußerst begabter Mann der Welt, dem jede Spur geistlicher Berufung abging.
Diese weit verbreitete Wahrnehmung seines Charakters kann die merkwürdige Mischung aus Bewunderung, Furcht und Misstrauen erklären, die er weckte; die Menschen glaubten, er sei zu allem fähig. Als Papst Alexander V am 4. Mai 1410 kurz nach einem Besuch in Bologna starb, wo sein Freund, der Kardinaldiakon, ein Gastmahl für ihn gegeben hatte, machten Gerüchte die Runde, er sei vergiftet worden. Diese Verdächtigungen verhinderten nicht, dass die Fraktion der mit Cossa befreundeten Kardinäle seine Wahl zum Nachfolger Alexanders durchsetzte. Vielleicht hatten sie schlicht Angst; vielleicht aber auch den Eindruck, der erst vierzigjährige Cossa werde das Zeug haben, das schändliche Kirchenschisma
zu beenden und die rivalisierenden Ansprüche des verbissen sturen Spaniers Pedro de Luna, der sich zu Papst Benedikt XIII. gemacht hatte, ebenso abzuwehren wie die des unversöhnlichen Venezianers Angelo Correr, der sich Gregor XII. nannte.
Sollten die Kardinäle tatsächlich darauf gehofft haben, so werden sie bald enttäuscht gewesen sein, aber kaum überrascht. Das Schisma dauerte damals bereits dreißig Jahre und hatte alle Versuche, zu einer Lösung zu finden, überdauert. Jeder der Anwärter auf den Heiligen Stuhl hatte die Anhänger seiner Widersacher exkommuniziert, hatte die göttliche Vergeltung auf sie herabgerufen, den Versuch gemacht, die moralische Überlegenheit der jeweils eigenen Sache zu reklamieren, ohne deswegen auf taktische Manöver und Gewalt zu verzichten. Jeder verfügte über mächtige Verbündete, die es unmöglich machten, die Einheit der Kirche durch militärische Eroberung zu erzwingen. Und alle wussten zugleich, dass die Situation unhaltbar war. Die konkurrierenden nationalen Fraktionen – Spanier, Franzosen, Italiener unterstützten je eigene Kandidaten –
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