Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
Vom Netzwerk:
erschütterten Anspruch und Existenz einer katholischen, nämlich universalen Kirche. Angesichts des Schauspiels mehrerer streitender Päpste stand die gesamte Institution in Frage. Die Situation war empörend, widerwärtig, gefährlich. Doch wer hätte sie lösen können?
    Fünfzehn Jahre zuvor hatten die Theologen der Pariser Universität eine große Kiste ins Kloster St. Mathurin gestellt und jeden, der zu wissen glaubte, wie sich das Schisma beenden ließe, gebeten, dies aufzuschreiben und das Papier durch den Schlitz im Deckel der Kiste zu werfen. Über zehntausend Mitteilungen gingen ein. Fünfundfünfzig Professoren, berufen, diese Mitteilungen zu lesen und auszuwerten, berichteten, im Grunde seien drei Hauptwege vorgeschlagen worden. Der erste, der »Weg der Zession«, forderte den gleichzeitigen Rücktritt aller drei, die die Macht des Papstes für sich beanspruchten, sie sollten so den Weg freimachen für die Wahl eines einzigen Kandidaten; der zweite, der »Weg des Kompromisses«, sah ein Schiedsverfahren vor, aus dem einer der Rivalen als der wahre Papst hervorgehen sollte; der dritte, »Weg des Konzils« genannt, verlangte eine Zusammenkunft aller Bischöfe der katholischen Welt, und diese, deren Stimme als ökumenische Versammlung letztendlich die notwendige Autorität haben würde, sollte den Streit schlichten.

    Die beiden ersten Wege hatten den Vorzug, relativ einfach, kosteneffektiv und lösungsorientiert zu sein; sie waren allerdings, wie ein militärisches Eingreifen auch, nicht praktikabel. Die Forderung eines gleichzeitigen Rücktritts stieß auf das voraussehbare Echo, und alle Versuche, die Voraussetzungen für ein Schiedsverfahren zu schaffen, führten erneut in hoffnungslosen Streit. Blieb also nur der »Weg des Konzils«, der in Sigismund von Ungarn, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, einen starken Unterstützer fand, der zumindest nominell auch ein Bündnisgenosse der Cossa-Fraktion in Rom war.
    Umgeben von seinen Kardinälen und Sekretären, gesichert im wuchtigen heidnischen Mausoleum, das in die gut befestigte Engelsburg verwandelt worden war, sah der gewiefte Papst keinen Grund, dem Druck nachzugeben und der Einberufung einer ökumenischen Versammlung zuzustimmen. Eine solche Versammlung, in der sich die lang angestaute Feindseligkeit gegen Rom unausweichlich Luft verschafft hätte, konnte seine Position nur erschüttern. So spielte er auf Zeit, verzögerte, beschäftigte sich damit, Bündnisse zu knüpfen und wieder zu lösen, intrigierte gegen König Ladislaus von Neapel, seinen ehrgeizigen Feind im Süden, und suchte ansonsten die päpstlichen Schatullen zu füllen. Zudem waren zahllose Petitionen zu bedenken, Bullen zu erlassen, die päpstlichen Staaten zu verteidigen, zu verwalten und zu besteuern, Kirchenämter und Ablässe zu verkaufen. Poggio und die anderen Sekretäre, Skriptoren, Abbreviatoren und kleineren Hofbürokraten hatten genug zu tun.
    Diese Pattsituation hätte endlos so weiterbestehen können, jedenfalls wird der Papst darauf spekuliert haben – wäre es nicht zu einer plötzlichen Wendung der Ereignisse gekommen. Im Juni 1413 durchbrach Ladislaus’ Heer die Befestigung Roms und plünderte die Stadt, raubte Wohnhäuser und Kapellen aus, drang in die Paläste der Reichen ein und schleppte Schätze davon. Der Papst und sein Hofstaat flohen nach Florenz, wo sie auf begrenzten Schutz hoffen konnten: Florentiner und Neapolitaner waren verfeindet. Doch um sich auf dem Heiligen Stuhl halten zu können, brauchte Cossa nun unbedingt die Unterstützung Kaiser Sigismunds. Damit aber, das zeigten rasch eingeleitete Verhandlungen – der Kaiser residierte damals in Como –, war nur zu rechnen, wenn der Papst der Einberufung eines allgemeinen Konzils zustimmen würde.

    Cossa, nun mit dem Rücken zur Wand, machte den Vorschlag, dieses Konzil in Italien abzuhalten, wo er seine wesentlichen Verbündeten hätte mobilisieren können, der Kaiser aber wandte ein, die Reise über die Alpen würde für die älteren Bischöfe wohl zu beschwerlich. Das Konzil, beschied er, solle in Konstanz stattfinden, in einer Stadt, die in seinen Territorien, zwischen der Schweiz und Deutschland, am Bodensee lag. Obwohl dieser Ort dem Papst kaum gefallen haben dürfte, waren seine Agenten – exploratores  – im Herbst 1413 in der Stadt und erkundeten Unterkunft und Versorgung. Im Sommer darauf machten sich der Papst und sein Hof auf den Weg, ebenso mächtige Kirchenmänner aus ganz

Weitere Kostenlose Bücher