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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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der dünnen Marmorverkleidungen, die dann beim Bau von Kirchen und Palästen erneut Verwendung fanden.
    Die meisten Texte Poggios stammen aus späteren Abschnitten seines Lebens, doch deutet nichts darauf hin, dass er, angesichts der Welt, in deren Machinationen er verstrickt war, je etwas anderes fühlte als eine Art Seelenkrankheit. Sein beruflicher Triumph unter dem Pontifikat Johannes’ XXIII. muss ihm einige Befriedigung verschafft haben, zugleich aber verstärkte das seine Verstrickungen, damit auch Seelenkrankheit und Fluchtphantasien. Wie zuvor Petrarca kultivierte Poggio eine Art archäologisches Gespür für das, was einst existiert hatte und versunken war, er spürte, wie in den leeren Räumen, dem Durcheinander des gegenwärtigen Rom die Vergangenheit spukte. In Poggios Beschreibung der »Wechselfälle des Schicksals« heißt es:
    Hier, auf diesem Hügel des Kapitol, auf dem wir sitzen, befand man sich früher am höchsten Ort des Römischen Imperiums, es war die Zitadelle der Welt, der Schrecken der Könige, anschaulich in den Fußspuren vieler Triumphzüge, reich geworden durch Raubgut und Tribute so vieler Nationen.
    Und jetzt? So schaut nur hin:
    Dieses Welttheater, wie tief ist es gefallen! Wie hat es sich verändert! Wie verschandelt es ist! Der Weg des Triumphzugs überwuchert vom Wein, die Bänke der Senatoren unter Misthaufen verschwunden.... Das Forum des römischen Volkes, wo es sich versammelte, seine Gesetze zu beschließen und die Magistrate zu wählen, nun ist es eingezäunt zur Kultivierung von Suppenkräutern oder steht einladend offen zum Empfang von Schweinen und Büffeln. 3
    Die Relikte einstiger Größe tönten die Erfahrung der Gegenwart nur noch melancholischer. In Gesellschaft seiner humanistischen Freunde konnte Poggio versuchen, das Bild dessen heraufzubeschwören, was einst war: »Werft euren Blick auf den Hügel des Kapitols und sucht unter den riesigen zertrümmerten Fragmenten das Marmortheater, die Obelisken, die Kolossalstatuen, den Portikus von Neros Palast.« Doch nach seinen Ausflügen in die Antike waren es stets die zerrissene Gegenwart, die Trümmer, zu denen der päpstliche Bürokrat wieder zurückfinden musste.
    Diese Gegenwart, die turbulenten Jahre, in denen Rom von Johannes XXIII. regiert wurde, wird nicht nur die gelegentliche »Freiheit« bedroht haben, die Poggio gepriesen hatte und mit der es jederzeit rasch vorbei sein konnte, sondern sie wird ihn auch so tief in Zynismus herabgezogen haben, dass es kein Entrinnen, keine Flucht mehr gab. Denn nun war die Frage, die Poggio und andere in Rom nicht mehr losließ, wie sie, die ausgerechnet am Hof dieses Papstes lebten und arbeiteten, wenigstens einen Rest moralischen Gespürs bewahren konnten. Ein Jahrzehnt älter als sein apostolischer Sekretär Poggio, war Baldassare Cossa auf der kleinen Vulkaninsel Procida bei Neapel geboren worden. Seine adlige Familie betrachtete die Insel als persönliches Eigentum, ihre verschwiegenen Buchten und
mächtigen Festungen eigneten sich ausnehmend gut für die Hauptbeschäftigung der Familie, die Piraterie. Das war durchaus nicht ungefährlich: Zwei Brüder des Papstes wurden schließlich gefangen und zum Tod verurteilt, diese Urteile nach allerhand Strippenzieherei zu Gefängnishaft gemildert. Gegner des Papstes behaupteten, der junge Cossa habe mitgewirkt im Familiengewerbe, das ihm nicht nur lebenslange Schlaflosigkeit eingetragen, sondern auch seine grundlegenden Ansichten zur Weltordnung geprägt hatte.
    Procida war eine viel zu kleine Bühne für Baldassares Talente. Energisch und mit scharfem Verstand begabt, zeigte er früh Interesse für das, was wir die höheren Formen der Piraterie nennen könnten. Er studierte Rechte an der Universität von Bologna – in Italien war dieses Studium damals eine bessere Vorbereitung für eine Kirchenkarriere als ein Studium der Theologie – und erwarb die Doktortitel beider Rechte, des kanonischen wie des zivilen. Während seiner Promotionsfeier – einer spektakulären Angelegenheit: der erfolgreiche Kandidat wurde im Triumph durch die Stadt geführt – wurde Cossa gefragt, was er nun zu tun gedenke. Seine Antwort: »Papst werden.« 4
    Wie Poggio begann auch Cossa seine Karriere am Hof des neapolitanischen Landsmannes Bonifatius IX., dem er als persönlicher Kammerherr diente. In dieser Eigenschaft war er beteiligt an der Aufsicht über den gar nicht heimlichen Verkauf von Kirchenämtern und am fieberhaften Ablasshandel. Auch

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