Wende
jahrhundertelang
verstanden wurde. »Ich will, dass man meine Betten aufschüttelt, nicht stopft«, lässt Jonson seinen Protagonisten sagen, »Daunen sind so hart«. Und nicht nur das:
In Muschelschalen soll mein Fleischgericht zu Tische kommen
Auf Platten von Achat, mit Gold gefasst und übersät
Mit Smaragd und Saphir, mit Hyazinth und Rubin....
Mein Botenjunge soll Fasanen essen, Lachs in dünnen Scheiben,
Knutt und Schnepfe, Neunaug’. Mir bringe man
Den Bart der Barbe, serviert anstelle von Salat;
Pilze in Öl, die strotzend geschwollnen Brustwarzen
Einer trächt’gen Sau, frisch abgeschnitten,
Exquisit dressiert mit einer scharfen Soße;
Wegen der ich meinem Koch nur sagen kann:
»Nun, nimm dies Gold, voran, geh und sei ein Ritter.« 39
Und welchen Namen hat Jonson für seinen überdrehten Lustsucher? Sir Epicure Mammon.
Ein Skandal war das: Da kam ein Philosoph daher und behauptete, Genuss, ja Lust sei höchstes Lebensziel – und es verschlug wenig, dass er Genuss sehr maßvoll und in verantwortungsbewussten Begriffen definierte. Es blieb skandalös, für Heiden ebenso wie für ihre Gegenspieler, für Juden und später die Christen. Genuss oder Lust als höchstes Gut? Und was ist dann mit der Verehrung der Götter und Ahnen? Was mit dem Dienst für Familie, Stadt und Staat? Mit der peinlich genauen Beachtung von Gesetzen und Geboten? Dem Streben nach Tugend und der Schau der Götter? Alle diese konkurrierenden Forderungen enthalten unausweichlich Formen asketischer Selbstverleugnung, verlangen Selbstopfer, wo nicht Selbsterniedrigung. Keine lässt sich vereinen mit dem Streben nach Lust als höchstem Gut. So stark war das Gefühl des Skandalösen, dass es noch zweitausend Jahre nach Epikurs Tod in Travestien wie den Jonson’schen geradezu manische Energien hervortrieb.
Kaum verborgen stand hinter dergleichen Zerrbildern das angstvolle Wissen, dass die Maximierung von Genuss und die Verhinderung von Pein in jedem Fall äußerst attraktive Ziele sind, möglicherweise sogar als
rationale Prinzipen zur Ordnung des menschlichen Lebens dienen könnten. Gelänge dies, dann stünde eine ganze Reihe anderer, altehrwürdiger Prinzipien in Frage – Opfer, Ehrgeiz, gesellschaftlicher Status, Disziplin, Frömmigkeit –, nicht minder die Institutionen, die eben diesen Prinzipien dienen. Da konnte man doch gar nicht anders, da musste Epikurs Streben nach Lust ins Groteske gesteigert werden, bis zur von Sinnlichkeit getriebenen Hemmungslosigkeit – dargestellt als ausschließliches Streben nach geschlechtlicher Lust, nach Macht oder Geld oder extravaganten, aberwitzig kostspieligen Tafelfreuden (wie bei Jonson). Erst ins Absurde getrieben, ließ sich die epikureische Herausforderung abwehren.
Zurückgezogen hinter den Mauern seines Gartens in Athen, bei Käse, Brot und Wasser, lebte der historische Epikur ein ruhiges Leben. Wenn man ihm etwas hätte vorhalten können, dann allein, dass sein Leben zu ruhig verlief: Riet er seinen Anhängern doch davon ab, sich mit all ihrer Kraft für die Angelegenheiten von Stadt und Staat zu engagieren; als Hauptlehrsatz hielt er fest:
Manche strebten nach Ruhm und Bewunderung, weil sie damit Sicherheit vor den Menschen zu gewinnen meinten. Ist ihr Leben dann sicher, haben sie das naturgemäß Gute erreicht, wenn aber nicht, dann fehlt ihnen, was sie von Anfang an entsprechend ihrer ureigenen Natur erstrebten. 40
Meist aber vergrößere Ruhm die Unsicherheit, also könne daran nichts Erstrebenswertes sein. Aus diesem Blickwinkel aber, so der Einwand von Epikurs Kritikern, ließe sich das meiste des ruhelosen und riskanten Strebens kaum noch rechtfertigen, das allein einer Stadt zur Größe verhelfe.
Mit solchen Überlegungen könnte Epikurs Quietismus auch in den sonnendurchfluteten Gärten von Herculaneum kritisiert worden sein: Zu einem nicht geringen Teil werden unter den Gästen der Villa dei Papiri auch solche gewesen sein, die Ruhm und Ehre in der damals größten Stadt suchten, dem Zentrum ihrer Welt. Vielleicht aber fühlten sich Julius Caesars Schwiegervater – wenn denn Piso tatsächlich Besitzer der Villa war – und einige aus dem Kreis seiner Freunde dennoch zu dieser philosophischen Schule hingezogen, immerhin bot sie ein Gegenbild zu ihrem
geschäftigen und anstrengenden Leben. Noch unterlagen Roms Feinde der Macht seiner Legionen, doch bedurfte es keiner prophetischen Fähigkeiten, um für die Zukunft der Republik düstere Zeichen wahrzunehmen. Und
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