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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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fromme religiöse Vortragsweise hielt uns fest.« 7
    Lassen wir das auf sich beruhen. Fest steht, dass Valla in der Mitte seines Dialogs eine bemerkenswert heftige, äußerst nachdrückliche Verteidigung epikureischer Grundprinzipien konstruiert: Gefeiert werden die Weisheit des Rückzugs aus Rivalität und Streit in den ruhigen Garten der Philosophie (»Vom sicheren Ufer wirst du über die Wellen lachen und mehr noch über die, die von ihnen umhergeworfen werden«); der Vorrang der körperlichen Lust; die Vorzüge der Mäßigung; die Widernatürlichkeit sexueller Enthaltsamkeit; die Leugnung des Lebens nach dem Tod. Es liege doch auf der Hand, so Vallas Epikureer, dass es »keine Belohnung für die Toten und gewiss auch keine Strafen« gebe. Und damit diese Formulierung auf keinen Fall missverstanden, die Seele also keineswegs von den anderen erschaffenen Dingen unterschieden wird, wiederholt er das Argument, das beide gleichsetzt:
    Mein Epikur jedenfalls lehrt, dass nach der Auflösung eines Lebewesens nichts übrig bleibe. Ein Lebewesen nennt er dabei nicht nur den Menschen, sondern auch Löwe, Wolf, Hund und alle anderen, die atmen. So kommt’s auch mir vor. Jene essen, wir essen, jene trinken, wir trinken, jene schlafen, wir ebenfalls. Und nicht anders als wir pflanzen sie sich fort, empfangen und gebären, ernähren sich. Sie verfügen über eine gewisse Portion Verstand und Gedächtnis, die einen mehr, die anderen weniger, und wir ein wenig mehr als sie alle. Fast in allem sind wir ihnen gleich, und zu allerletzt sterben sie und sterben wir, sie zur Gänze, wir zur Gänze. 8
    Und wenn wir uns dieses Ende wirklich klarmachen – »und zuallerletzt sterben sie und sterben wir, sie zur Gänze, wir zur Gänze« –, dann sollte uns die Schlussfolgerung für unser Handeln ebenso klar sein:
    Lassen wir uns folglich diese Lüste des Körpers, die unanfechtbar sind und niemals in einem anderen Leben wiedererlangt werden können, so lang wie möglich (o mög’s doch noch länger sein!) nicht entgleiten! 9
    Nun könnte man argumentieren, Valla lasse den Protagonisten diese Worte nur sagen, um seinem Mönch da Rho Gelegenheit zu geben, sie restlos zu zerpflücken:
    Erblicktest du eines einzigen Engels Angesicht neben deinem Liebchen, flugs käme dir deine Freundin so häßlich und abstoßend vor, daß du dich wie vom Gesicht einer Leiche abkehrtest und hinwendetest zur ganzen Schönheit des Engels, einer Schönheit, wohlgemerkt, welche die Begierde nicht entfachte, sondern auslöschte und an ihrer Statt die allerheiligste Frömmigkeit einflößte. 10
    Wäre dies die tatsächliche Intention, behielte also der Mönch das letzte Wort, dann hätte man De voluptate als Versuch zu lesen, Subversion einzudämmen. Im Bewusstsein, dass er und seine Zeitgenossen dem verführerischen Gift des Lukrez bereits ausgesetzt waren, entschied sich Valla dafür, diese Kontamination nicht zu unterdrücken, sondern das Geschwür zu öffnen und die epikureischen Argumente der reinigenden Luft des christlichen Glaubens auszusetzen.
    Vallas Gegner Poggio aber kam zum umgekehrten Schluss: Er sah im christlichen Rahmen und in der Dialogform von De voluptate nur ein für Valla bequemes Mittel, das es ihm erlaube, seine skandalösen und gefährlichen Angriffe auf die christliche Lehre zu kaschieren. Selbst wenn dieses Argument darum fragwürdig erscheinen mag, weil es Poggios giftigem Hass entsprang, so sollte man doch daran erinnern, dass Vallas berühmter Nachweis, wonach die sogenannte Konstantinische Schenkung eine Fälschung war, ihn nicht gerade als zuverlässig orthodoxen Denker ausgewiesen hat. Aus dieser Perspektive wäre De voluptate ein vergleichsweise radikaler, subversiver Text, dem sein Autor, ein Priester, der um den Posten eines apostolischen Sekretärs rangelte und diesen schließlich auch erhielt, ein Feigenblatt umband, um einigermaßen geschützt zu sein.
    Eindämmung oder Subversion – wie ließe sich der Widerstreit zwischen diesen beiden einander so scharf entgegengesetzten Argumenten auflösen? 11 Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass irgendwer aus unserem großen Abstand Beweise entdecken wird, mit denen sich diese Frage definitiv entscheiden ließe – wenn solche Beweise denn je existiert haben. Diese Frage
sucht zudem nach programmatischer Gewissheit und Klarheit, die mit der realen Situation von Intellektuellen im 15. oder 16. Jahrhundert wahrscheinlich wenig zu tun hat. 12 Nur ganz wenige Menschen werden den

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