Wende
eben ein entflohener Mönch. Das Heilige Offizium setzte ihn in der Engelsburg gefangen.
Insgesamt acht Jahre dauerten Brunos Verhöre und der Prozess in Rom, endlos musste er den Vorwürfen der Ketzerei entgegnen, sein philosophisches Weltbild erläutern, wilde Anschuldigungen zurückweisen. Dabei konnte er sich auf sein phänomenales Gedächtnis verlassen, konnte seine genauen Überzeugungen wieder und wieder auch mit Literatur stützen, aber nichts half. Von der Folter bedroht, sprach er den Inquisitoren das Recht ab, zu bestimmen, was Ketzerei sei, was er zu denken habe, was der rechte Glauben sei. Dieser Vorwurf war sein letzter Strohhalm, doch das Heilige Offizium anerkannte keine Grenzen seiner Rechtsprechung – keine räumlichen und auch, von Papst und den Kardinälen abgesehen, keine persönlichen. Es war der oberste Richter über den wahren Glauben.
Vor Zuschauern wurde Bruno auf die Knie gezwungen, um sein Urteil zu empfangen: Verurteilt wurde er als »ein verstockter, bösartiger und hartnäckiger Ketzer«. Er war kein Stoiker, natürlich graute ihm vor dem grässlichen Schicksal, das ihn erwartete. Doch einer der Zuschauer, ein deutscher Katholik, notierte den einen, erstaunlichen Satz, den Bruno nach
Verurteilung und Exkommunizierung zu seinen Richtern sagte: »Mit größerer Furcht verkündet Ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme.«
Am 17. Februar 1600 wurde der aus dem Priesteramt gestoßene Dominikaner mit geschorenem Haupt auf einen Esel gesetzt und zum Scheiterhaufen geführt, den weltliche Schergen (die Urteile der Inquisition auszuführen oblag weltlichen Behörden) auf dem Campo dei Fiori errichtet hatten. Während der unzähligen Stunden, in denen er von Mönchskollegien in die Mangel genommen worden war, hatte er sich standhaft geweigert zu widerrufen; und auch jetzt widerrief er nicht, verfiel aber auch nicht einfach in Schweigen. Was er sagte, ist nicht überliefert, doch muss es die Behörden so irritiert haben, dass angeordnet wurde, ihm die Zunge zu zügeln. Das nahmen die Henkersknechte wörtlich. So wurde ihm, wie ein Bericht besagt, ein Stift durch die eine Wange weiter durch die Zunge und durch die andere Wange wieder nach draußen getrieben. Ein weiterer Stift versiegelte seine Lippen – ein Kreuz machte ihn stumm. Als man ihm ein Kruzifix vor die Augen hielt, drehte er den Kopf zur Seite. Das Feuer wurde entzündet und tat sein Werk. Nachdem man ihn bei lebendigem Leibe verbrannt hatte, wurden seine Knochen zerschlagen und samt seiner Asche verstreut – als winzige Partikel, die, wie er glaubte, wieder in den großen unendlichen, den freudigen Kreislauf der Materie eingehen würden. 30
KAPITEL ELF
NACHWEHEN
B runo zum Schweigen zu bringen erwies sich als weitaus leichter, als De rerum natura wieder ins Dunkel zurückzustoßen. Denn, wie sich zeigte, kaum war Lukrez’ Gedicht der Welt zurückgegeben, begannen die Worte des visionären Poeten der menschlichen Existenz in den Werken von Schriftstellern und bildenden Künstlern der Renaissance kraftvoll widerzuhallen, von denen viele sich als gläubige Christen verstanden. Dieses Echo – die Spur einer Begegnung in der Malerei oder in epischer Dichtung – war für die Autoritäten nicht so unmittelbar beunruhigend wie der Widerhall in den Schriften von Naturforschern oder Philosophen. Die Gedankenpolizei der Kirche wurde nur selten gerufen, um Kunstwerke auf ihre ketzerischen Implikationen zu untersuchen. 1 So wie Lukrez’ dichterische Gaben dazu beitrugen, dass sich seine radikalen Ideen verbreiteten, so wurden sie auch auf kaum nachzuvollziehenden Wegen von Künstlern übermittelt, die in direktem oder indirektem Kontakt mit den Kreisen italienischer Humanisten standen: Maler wie Sandro Botticelli, Piero di Cosimo und Leonardo da Vinci; Dichter wie Matteo Boiardo, Ludovico Ariosto und Torquato Tasso. Und es dauerte nicht lange, da tauchten diese Ideen auch anderswo auf, weit entfernt von Rom oder Florenz.
Auf einer Londoner Bühne, Mitte der 1590er Jahre, piesackt Mercutio seinen Freund Romeo mit einer phantastischen Beschreibung der Frau Mab, die den Menschen die Träume bringt:
Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kömmt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit einem Spann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
( Romeo und Julia , I.4:55–59)
Mit einem »Spann von Sonnenstäubchen« übersetzt Schlegel; Shakespeare hatte
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