Wende
diese Absorption vollständig stattgefunden hatte, ein äußerst bedeutsamer Führer war, gehörte ein wohlhabender Pflanzer aus Virginia, ein Mann von skeptischer Intelligenz und mit wissenschaftlichen Neigungen – Thomas Jefferson. Er besaß mindestens fünf Ausgaben von De rerum natura, daneben Übersetzungen des Gedichts ins Englische, Italienische und Französische. Es war eines seiner Lieblingsbücher, bestätigte es ihn doch in seiner Überzeugung, dass die Welt nichts anderes ist als Natur und dass diese allein aus Materie besteht. Mehr noch, Lukrez bestärkte Jefferson auch in seiner Zuversicht, dass Unwissenheit und Angst keine notwendigen Elemente der menschlichen Existenz sind.
Jefferson gab diesem antiken Erbe eine Richtung, die Lukrez noch nicht antizipieren konnte, von der Thomas Morus aber damals, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, durchaus schon träumte. Jefferson hatte sich nicht, wie es der Dichter von De rerum natura dringend empfahl, aus den heftigen und unerfreulichen Konflikten des öffentlichen Lebens zurückgezogen. Vielmehr hatte er, zur Zeit der Gründung einer neuen Republik, einem nicht nur politisch sehr folgenreichen Dokument eine ausgesprochen lukrezische Wendung gegeben. Eine Wendung nämlich zu einer Herrschaftsform, deren Ziel nicht nur die Sicherung von Leib und Leben seiner Bürger war, sondern die auch deren »Streben nach Glückseligkeit« sichern sollte. So haben die Atome des Lukrez in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ihre Spuren hinterlassen.
Am 15. August 1820 schrieb der siebenundsiebzigjährige Jefferson an einen anderen ehemaligen Präsidenten, seinen Freund John Adams. Dieser war fünfundachtzig Jahre alt, und die beiden alten Männer hatten nun, da sie das Leben entschwinden fühlten, die Angewohnheit entwickelt, sich auszutauschen über ihre Ansichten zu dessen Sinn; Jefferson schrieb:
Ich muss auf mein Lebenselixier zurückkommen: »Ich fühle, also bin ich.« Ich fühle Körper, die nicht ich selbst bin: Es muss also andere Existenzen geben. Ich nenne sie Materie. Ich fühle, wie sie den Ort wechseln. Das gibt mir Bewegung. Wo Abwesenheit von Materie ist, nenne ich das Leere oder Nichts oder immateriellen Raum. Auf der Basis von Sinneseindrücken, von Materie und Bewegung können wir den Bau aller Gewissheiten aufrichten, die wir haben können oder benötigen. 25
Eben das waren die Gedanken und Empfindungen, mit denen vor allem anderen Lukrez seine Leser erfüllen wollte. Einem Briefpartner, der ihn nach seiner Lebensphilosophie gefragt hatte, antwortete Jefferson: »Ich bin Epikureer.« 26
ANHANG
DANK
D er antike Philosoph, dessen Werk Anlass der Geschichte ist, die ich auf diesen Seiten verfolgt habe, war überzeugt, dass Lust das höchste Ziel im Leben sei, und eine besondere Lust war ihm die Gemeinschaft seiner Freunde. Insofern passt es trefflich, wenn ich hier das reiche und hilfreiche Netzwerk von Freunden und Kollegen nenne, die das Schreiben an diesem Buch befördert haben. Gerne denke ich an die vielen angenehmen Stunden, die ich im Lauf meines Jahres am Wissenschaftskolleg zu Berlin mit dem inzwischen verstorbenen Bernard Williams in Diskussionen über Lukrez zugebracht habe. Seine wunderbare Intelligenz brachte zum Strahlen, was sie berührte. Einige Jahre später habe ich, ebenfalls an dieser großartigen Berliner Institution, an einer Lukrez-Lesegruppe teilgenommen, die mir den kritischen Impuls gab, den ich brauchte. Großzügig von den beiden Philosophen Christoph Horn und Christof Rapp geleitet, hat sich diese Gruppe, an der neben gelegentlichen Besuchern auch Horst Bredekamp, Susan James, Reinhard Meyer-Kalkus, Quentin Skinner und Ramie Targoff teilnahmen, mit beispielhafter Sorgfalt und streitbarer Diskussionsfreude durch dieses Gedicht hindurchgearbeitet.
Eine zweite großartige Institution – die American Academy in Rom – bot den vollkommenen Rahmen für die Niederschrift des größten Teils dieses Buches: Nirgendwo sonst habe ich bislang erlebt, wie perfekt sich die Möglichkeit ruhigen und ungestörten Arbeitens mit epikureischem Vergnügen verbinden lässt. Der Leiterin der Akademie, Carmela Vircillo Franklin, und ihren kompetenten Mitarbeitern, ebenso den vielen Fellows und Besuchern bin ich zu tiefstem Dank verpflichtet. Meine Agentin Jill Kneerim und meine Lektorin Alane Salierno Mason waren äußerst
hilfreiche, großzügige und genaue Leserinnen. Von den vielen Menschen, die mich mit Rat und Hilfe
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