098 - Der Kerkermeister
Coco Zamis ging unruhig auf und ab. Sie sorgte sich um Dorian Hunter. Der Zustand des Dämonenkillers hatte sich in den letzten Stunden rapid verschlechtert. Ihr war keine andere Wahl geblieben: Sie hatte Dorian in das Marble Hill Hospital gebracht. Der Leiter des Spitals, Dr. Fred McClusky, war ein alter Bekannter des Dämonenkillers.
Immer wieder irrte Cocos Blick zur weißen Tür, hinter der Dorian in einem gut gesicherten Krankenzimmer lag. McClusky und zwei weitere Ärzte untersuchten den Dämonenkiller.
Müde setzte sich Coco nieder. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und an Dorians Bett gewacht. Zuerst das Abenteuer mit Hekate, die nun endgültig tot war, und kurz darauf den Kampf gegen Luguri und die Suche nach den dreizehn entführten Kindern. Dorian hatte es geschafft, doch er hatte einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Der Einsatz des Ys-Spiegels, dieser gewaltigen magischen Waffe, war immer mit einem Risiko verbunden, da sich bei seiner Anwendung unliebsame Nebeneffekte einstellten.
Doch Dorian war keine andere Wahl geblieben. Er hatte den Spiegel einsetzen müssen, und danach hatte er sich entkräftet und geistig ausgelaugt gefühlt. Sein Zustand hatte sich von Stunde zu Stunde verschlechtert. Meist war er apathisch dagelegen, hatte schwer geatmet und leise gestöhnt. Sein Gesicht verfiel immer mehr. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Er war nicht mehr ansprechbar gewesen.
Coco sprang auf, als Dr. Fred McClusky, gefolgt von zwei Ärzten und zwei Krankenschwestern, aus dem Krankenzimmer trat. Das Gesicht des Arztes war ernst. Der Arzt war bis vor wenigen Tagen, so wie das gesamte andere Spitalpersonal und alle Patienten, eines von Hekates Opfern gewesen. Doch mit ihrem Tod hatten sich die in seinem Körper keimenden Alraunenwurzeln aufgelöst.
McClusky war so wie die meisten von Hekates Opfern mit dem Leben davongekommen.
„Nun, Doktor?" fragte Coco und kam einen Schritt näher.
„Es sieht gar nicht gut aus", meinte McClusky. „Wir untersuchten ihn gründlich, konnten aber nicht feststellen, an welcher Krankheit er leidet."
„Ich habe Ihnen doch gesagt, daß der Spiegel, den er…"
McClusky hob abwehrend die Hände.
„Ich weiß", sagte er rasch. „Hunters Körper ist geschwächt. Er verfällt immer mehr. Diesen Prozeß müssen wir aufhalten, sonst…"
„Ich verstehe", sagte Coco und preßte die Lippen zusammen. „Darf ich bei ihm bleiben?"
Der Arzt nickte. „Im Augenblick ist er nicht bei Bewußtsein. Wenn er erwacht, stimmen Sie allem zu, was er auch behauptet. Lassen Sie sich mit ihm auf keine Diskussion ein. Er darf sich nicht aufregen."
„Ich werde mich danach richten", flüsterte Coco. Sie ging an dem Arzt vorbei und trat leise ins Krankenzimmer. Geräuschlos schloß sie die Tür hinter sich, blieb einen Augenblick stehen und sah ihren Gefährten an. Es schien ihr, als würden unsichtbare Arme ihren Brustkorb zusammenpressen. Der Anblick Dorian Hunters war alles andere als erfreulich.
Er lag auf dem Rücken. Sein Haar war verfilzt, und das eingefallene Gesicht war schweißbedeckt. Die grünen Augen standen halb offen, sahen aber nichts. Den Mund hatte er weit aufgerissen, Speichel tropfte über seine blutleeren Lippen.
Coco zog einen Stuhl heran und griff nach einem Tuch. Vorsichtig wischte sie den Schweiß von Dorians Stirn. Er atmete röchelnd.
Im Zimmer herrschte ein wohltuendes Dämmerlicht. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt, und es regnete leicht. Rings um das Bett hatte Coco Dämonenbanner aufgestellt. Zusätzlich hatte sie die zwei Fenster, die Wände und die Tür mit magischen Sprüchen abgesichert.
Dorian wälzte sich unruhig im Bett hin und her. Einmal hob er den rechten Arm, ballte die Faust und schrie etwas Unverständliches, in einer Sprache, die Coco nie zuvor gehört hatte.
Sekunden später verzerrte sich sein Gesicht. Leise flüsterte er vor sich hin. Coco beugte sich vor.
Sie verstand nur einige Namen.
„Hekate", hauchte Dorian. „Faust… Nein, ich will nicht sterben, nein, ich will…" Der Dämonenkiller bäumte sich auf, die Augen weit aufgerissen. „Niemals", sagte er fast unhörbar. „Niemals, Faust, niemals wird mich Coco töten!"
Coco erinnerte sich an Fausts Prophezeiung. Bei einer Beschwörung im Tempel der Magischen Bruderschaft in London hatte er Dorffan gezeigt, daß Coco ihn töten würde. Eine Vorstellung, die Coco völlig absurd erschien. Doch auch Phillip, der Hermaphrodit, hatte die Andeutung
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