Wendekreis des Krebses
Er versucht, sie mir auf unserem nächtlichen Heimweg zu erklären. Sie ist so tragisch und gleichzeitig so lächerlich, daß ich dann und wann stehen bleiben und ihm ins Gesicht lachen muß. «Warum lachst du so?» sagt er sanft und beginnt dann selbst mit diesem jammernden, hysterischen Ton in seiner Stimme wie ein hilfloser, armer Teufel, der sich plötzlich bewußt wird, daß, gleichgültig wie viele Gehröcke er anzieht, er doch nie ein Mann sein wird. Er will davonlaufen, einen anderen Namen annehmen. «Sie kann alles haben, diese Kuh, wenn sie mich nur in Ruhe läßt», winselt er. Aber erst muß die Wohnung vermietet und der Vertrag unterschrieben sein, und tausend andere Kleinigkeiten, für die sein Gehrock zupaß kommt. Aber ihre Ausmaße! – das beunruhigt ihn wirklich. Wenn wir sie bei der Ankunft plötzlich an der Tür stehen fänden, würde er in Ohnmacht fallen – soviel Respekt hat er vor ihr!
Und deshalb mußten wir uns eine Weile Elsa gegenüber anständig benehmen. Elsa ist nur da, um das Frühstück zu machen – und die Wohnung zu zeigen.
Aber Elsa macht mich bereits mürbe. Dieses deutsche Blut. Diese melancholischen Lieder. Heute morgen ging ich die Treppe hinunter, den Duft des frischen Kaffees in der Nase. Ich summte leise: «Es wär’ so schön gewesen.» Das zum Frühstück. Und bald darauf der Engländer da oben mit seinem Bach. Wie Elsa sagt: «Er braucht eine Frau.» Und Elsa braucht auch etwas. Ich sagte Boris nichts davon, aber während er sich heute morgen die Zähne putzte, erzählte mir Elsa allerhand von Berlin, den Frauen, die von hinten so reizvoll aussehen, und wenn sie sich umdrehen – puh, Syphilis!
Es kommt mir so vor, als sehe mich Elsa recht schmachtend an. Nachwehen des Frühstücks. Heute nachmittag schreiben wir, Rücken an Rücken im Atelier sitzend. Sie hatte einen Brief an ihren Liebsten angefangen, der in Italien ist. Plötzlich war die Maschine blockiert. Boris war fortgegangen, um das billige Zimmer anzusehen, das er nehmen will, sobald die Wohnung vermietet ist. Es blieb nichts anderes übrig, als Elsa herzunehmen. Sie wollte es. Und doch tat sie mir ein wenig leid. Sie hatte nur die erste Zeile an ihren Liebsten geschrieben – ich las sie aus dem Augenwinkel, während ich mich über sie beugte. Aber es ging nicht anders. Diese verdammte deutsche Musik, so melancholisch, so sentimental. Sie hatte mich fertiggemacht. Und dann ihre glänzenden kleinen Augen, so hitzig und gleichzeitig so traurig.
Nachdem es vorbei war, bat ich sie, etwas für mich zu spielen. Sie kann Klavier spielen, die Elsa, wenn es auch wie zerbrochene Töpfe und klappernde Schädel klang. Sie weinte zudem, während sie spielte. Ich mache ihr keinen Vorwurf daraus. Überall das gleiche, sagt sie. Überall ist ein Mann, und dann muß sie fort, dann eine Abtreibung und eine neue Stelle und ein neuer Mann, und niemand kümmert sich den Teufel um sie, außer um sie zu gebrauchen. Alles das, nachdem sie Schumann für mich gespielt hat – Schumann, diesen sabbernden, süßlichen deutschen Zwitter! Irgendwie tut sie mir furchtbar leid, und doch schere ich mich keinen Deut darum. Eine Pritsche, die Klavier spielen kann wie sie, sollte mehr Verstand haben, als sich mit jedem Kerl, der einen dicken Butz hat und zufällig des Weges kommt, einzulassen. Aber dieser Schumann geht mir ins Blut. Sie heult noch immer, die Elsa; aber meine Gedanken sind weit fort. Ich denke an Tania und wie sie ihr Adagio herunterklimpert. Ich denke an einen Haufen Dinge, die vorbei und begraben sind. Mir fällt ein Sommernachmittag in Greenpoint ein, als die Deutschen in Belgien einfielen und wir Amerikaner noch nicht genug Geld verloren hatten, um uns um die Vergewaltigung eines neutralen Landes zu scheren. Eine Zeit, als wir noch unschuldig genug waren, um Dichtern zu lauschen und in der Dämmerung um einen Tisch herumzusitzen und abgeschiedene Geister zu beschwören. Den ganzen Nachmittag und Abend ist die Atmosphäre von deutscher Musik gesättigt; die ganze Umgebung ist deutsch, deutscher noch als Deutschland. Wir wuchsen heran mit Schumann und Hugo Wolf, mit Sauerkraut und Kümmel und Kartoffelknödel. Gegen Abend sitzen wir bei zugezogenen Vorhängen um einen großen Tisch herum, und eine törichte, flachsköpfige Weibsperson beschwört durch Tischrücken Jesus Christus. Wir haben uns unter dem Tisch die Hände gereicht, und die Dame neben mir hat zwei Finger in meinem Hosenlatz. Und zum Schluß liegen wir
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