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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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hereinbringen und durch die Seitenschiffe galoppieren. Man kann mit dem Kopf gegen die Mauern rennen – sie geben nicht nach. Man kann beten, in welcher Sprache man will, oder sich draußen zusammenrollen und schlafen. Sie wird wenigstens tausend Jahre Bestand haben, diese Kathedrale, und es wird keine Nachbildung geben, denn ihre Erbauer sind tot und mit ihnen die Formel. Wir werden Postkarten machen lassen und Reisen organisieren. Wir werden eine Stadt darum erbauen und eine freie Gemeinde errichten. Wir brauchen kein Genie – der Genius ist tot. Wir brauchen starke Hände, Geister, die willens sind, den Geist aufzugeben und Fleisch zu werden.
    Der Tag entwickelt sich in munterem Tempo. Ich halte mich oben auf dem Balkon bei Tania auf. Das Drama spielt sich unten im Salon ab. Der Dramatiker ist krank, und von oben sieht sein Skalp abstoßender aus denn je. Sein Haar ist aus Stroh. Seine geistigen Vorstellungen sind Stroh. Auch seine Frau ist Stroh, wenn auch noch ein wenig feucht. Das ganze Haus ist aus Stroh. Hier stehe ich, oben auf dem Balkon, und warte auf die Ankunft von Boris. Mein letztes Problem – das Frühstück – ist gelöst. Ich habe alles vereinfacht. Wenn es neue Probleme gibt, kann ich sie zusammen mit meiner schmutzigen Wäsche in meinem Rucksack wegtragen. Ich verschleudere alle meine Sous. Wozu brauche ich Geld? Ich bin eine Schreibmaschine. Die letzte Schraube ist eingesetzt. Die Sache läuft. Zwischen mir und der Maschine klafft kein fremdes Element. Ich bin die Maschine …
    Man hat mir noch nicht gesagt, worum sich das neue Drama dreht, aber ich kann es fühlen. Sie versuchen mich loszuwerden. Und doch sitze ich da, zum Essen bereit, sogar ein wenig früher als von ihnen erwartet. Ich habe ihnen gesagt, wo sie sich hinsetzen, was sie tun sollen. Ich frage sie höflich, ob ich sie störe, aber was ich wirklich meine, und was sie genau wissen, ist: – werdet ihr mich stören ? Nein, ihr süßen Küchenschaben, ihr stört mich nicht. Ihr ernährt mich. Ich sehe euch eng beieinandersitzen und weiß, daß ein Abgrund zwischen euch klafft. Eure Nähe ist die Nähe von Planeten. Ich bin die Leere zwischen euch. Wenn ich weggehe, habt ihr keine Leere mehr, um darin zu schwimmen.
    Tania ist in feindseliger Stimmung – ich spüre das. Sie ärgert sich darüber, daß ich von etwas anderem erfüllt bin als von ihr. Sie merkt an der Größe meiner Erregung, daß ihr Wert auf Null gesunken ist. Sie weiß, daß ich heute abend nicht hergekommen bin, um sie zu befruchten. Sie weiß, daß etwas in mir keimt, was sie zunichte macht. Sie braucht lange, um es zu merken, aber sie merkt es …
    Sylvester sieht zufrieden aus. Er wird sie heute abend beim Eßtisch in die Arme nehmen. Gerade jetzt liest er mein Manuskript, bereitet sich darauf vor, mein Ich zu entflammen, mein Ich gegen ihres auszuspielen.
    Das wird ein merkwürdiges Beisammensein heute abend. Die Bühne wird hergerichtet. Ich höre das Klingeln der Gläser. Der Wein wird geholt. So mancher Humpen wird geleert werden, und Sylvester, der krank ist, wird seine Krankheit vergessen.
    Erst gestern abend, bei Cronstadt, kam der Plan zu diesem Zusammensein zustande. Es wurde beschlossen, daß die Frauen leiden müßten – daß es hinter den Kulissen mehr Schrecken und Gewalttat, mehr Katastrophen, mehr Leiden, mehr Weh und Ach geben sollte.
    Es ist kein Zufall, daß es Menschen wie uns nach Paris treibt. Paris ist einfach eine künstliche Bühne, eine Drehbühne, die dem Zuschauer erlaubt, alle Phasen des Konfliktes zu verfolgen. Aus sich allein bewirkt Paris keine Dramen. Sie haben anderswo begonnen. Paris ist einfach das Entbindungsinstrument, das den lebenden Embryo aus dem Mutterleib hervorholt und ihn in den Brutofen steckt. Paris ist die Wiege künstlicher Geburten. Hier in der Wiege schaukelnd versetzt sich jeder in sein Ursprungsland zurück; man träumt sich zurück nach Berlin, New York, Chicago, Wien, Minsk. Wien ist nie mehr Wien als in Paris. Alles wird zu einer Apotheose verklärt. Die Wiege gibt ihre Kinder frei, und neue nehmen ihren Platz ein. Man kann hier an den Mauern lesen, wo Zola und Balzac, Dante und Strindberg und jeder, der jemals etwas war, gewohnt haben. Jeder hat hier irgendwann einmal gelebt. Niemand stirbt hier.
    Unten sprechen sie. Ihre Sprache ist symbolisch. Das Wort ‹Kampf› kommt darin vor. Sylvester, der kranke Dramatiker, sagt: «Ich lese gerade das Manifest .» Und Tania darauf: « Wessen? » Ja, Tania, ich

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