Wendekreis des Krebses
habe dich gehört. Ich schreibe hier oben über dich, und du errätst es wohl. Sprich mehr , damit ich über dich berichten kann. Denn wenn wir zu Tisch gehen, kann ich keine Aufzeichnungen machen … Plötzlich bemerkt Tania: «Hier in diesem Haus gibt es keinen berühmten Saal.» Was soll das nun heißen, wenn überhaupt etwas?
Sie hängen jetzt Bilder auf. Auch das, um Eindruck auf mich zu machen. Siehst du, wollen sie damit sagen, wir sind hier daheim, führen ein Eheleben. Machen die Wohnung hübsch. Wir werden sogar ein wenig über die Bilder streiten, dir zuliebe . Und Tania bemerkt wieder: «Wie einen das Auge täuscht!» Ah, Tania, was für Dinge du sagst! Los, spiele die Posse noch ein wenig länger. Ich bin des versprochenen Essens wegen da; ich genieße diese Komödie ungeheuer. Und nun übernimmt Sylvester die Führung. Er versucht eine von Borowskis Gouachen zu erklären. «Komm her, siehst du? Einer von ihnen spielt Gitarre; der andere hält ein Mädchen auf seinem Schoß.» Richtig, Sylvester. Sehr richtig. Borowski und seine Gitarren! Die Mädchen auf seinem Schoß! Nur weiß man nie ganz genau, was es ist, was er da auf dem Schoß hält, oder ob es wirklich ein Gitarre spielender Mann ist … Bald wird Moldorf auf allen vieren hereingetrottet kommen und Boris mit seinem hilflosen kleinen Lachen. Es wird einen köstlichen Fasan zum Essen geben, Anjou und kurze, dicke Zigarren. Und wenn Cronstadt die letzten Neuigkeiten hört, wird er für fünf Minuten ein wenig lebhafter und lustiger werden und dann wieder zurücksinken in den Humus seiner Ideologie, und vielleicht wird ein Gedicht geboren, eine große, goldene Glocke von einem Gedicht, ohne Klöppel.
Mußte für etwa eine Stunde verschwinden. Ein anderer Interessent, um die Wohnung anzusehen. Der verfluchte Engländer oben übt seinen Bach. Wenn jetzt jemand die Wohnung ansehen kommt, muß man hinauflaufen und den Klavierspieler bitten, eine Weile aufzuhören.
Elsa telefoniert mit dem Gemüsehändler. Der Klempner bringt einen neuen Deckel auf dem Toilettensitz an. Sooft die Türglocke läutet, gerät Boris aus dem Gleichgewicht. In der Aufregung hat er seine Brille fallen lassen; er kriecht auf Händen und Knien, sein Gehrock schleift am Boden. Es ist ein wenig wie im Grand Guignol: der verhungerte Poet, der gekommen ist, um der Fleischerstochter Unterricht zu geben. Jedesmal, wenn das Telefon klingelt, wässert dem Poeten der Mund. Mallarme klingt wie ein Lendensteak, Victor Hugo wie foie de veau . Elsa bestellt ein delikates kleines Essen für Boris – «ein schönes, saftiges, kleines Schweinskotelett», sagt sie. Ich sehe eine ganze Reihe rosafarbener Schinken kühl auf dem Marmor liegen, wundervolle, in weißes Fett eingebettete Schinken. Ich habe schrecklichen Hunger, obwohl wir erst vor ein paar Minuten gefrühstückt haben – ich muß das Mittagessen ausfallen lassen. Nur Mittwochs esse ich dank Borowski zu Mittag. Elsa telefoniert noch immer – sie vergaß, ein Stück Speck zu bestellen. «Ja, ein schönes Stückchen Speck, nicht zu fett», sagt sie … Zutalors! Noch ein paar Kalbsbrieschen dazu, Kalbshoden und ’n paar – psst – Austern, noch etwas gebratene Leberwurst, wenn du gerade dabei bist! Ich könnte die fünfzehnhundert Stücke Lope de Vegas auf einen Sitz verschlingen.
Es ist eine schöne Frau, die gekommen ist, um die Wohnung anzusehen. Natürlich eine Amerikanerin. Ich stehe mit dem Rücken zu ihr am Fenster und beobachte einen Sperling, der an einem frischen Roßapfel herumpickt. Erstaunlich, wie leicht der Sperling seinen Unterhalt findet. Es regnet ein wenig, und die Tropfen sind sehr groß. Ich glaubte immer, ein Vogel könne nicht fliegen, wenn seine Federn naß geworden sind. Erstaunlich, wie diese reichen Dämchen nach Paris kommen und alle anständigen Ateliers ausfindig machen. Ein kleines Talent und eine große Börse. Wenn es regnet, bietet sich ihnen Gelgenheit, ihre ladenneuen Regenmäntel zur Schau zu tragen. Essen bedeutet ihnen nichts: manchmal sind sie so damit beschäftigt, herumzusausen, daß sie nicht Zeit zum Mittagessen haben. Nur eben ein Schinkenbrötchen, eine Waffel im Café de la Paix oder in der Ritz-Bar. ‹Nur für die Töchter der vornehmen Welt› – steht in dem ehemaligen Atelier von Puvis de Chavannes. Kam zufällig unlängst dorthin. Reiche amerikanische Pritschen mit über die Schultern gehängten Malkästen. Ein kleines Talent und eine fette Börse.
Der Sperling hüpft wie
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