Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
20. Mal den Unterschied zwischen dem großen A und dem kleinen A erklärt. »Du sagst doch selbst, dass dir in letzter Zeit öfter mal schwarz vor Augen wird.«
»Aber doch nicht im Auto, Liebes!«
Bevor ich sie fragen kann, wieso sie sich da so sicher ist, geht sie überraschend zum Gegenangriff über: »Ich habe in meinem Leben auf so viel verzichtet, nur um des lieben Friedens willen. Alles hab ich für deinen Vater, deinen Bruder und dich gegeben. Das Einzige, was ich für mich habe, ist dieses alte Auto. Das ist mein eigenes kleines Stückchen Freiheit. Und das geb ich nicht her!!!«
»Dann geh wenigstens mal zum Augenarzt, okay? So, und jetzt muss ich wieder an die Arbeit.« Lieber mache ich freiwillig drei Stunden Aktenablage, als mir zum hunderttausendsten Mal anhören zu müssen, was meine Mutter alles auf dem Altar von Ehe und Familie geopfert hat.
v v v
Als ich um neun nach Hause komme, ist Thomas noch nicht da. Er hatte mal ein geruhsames Leben als Versicherungsmathematiker. Aber seit er sich auf Risiko-Analysen spezialisiert hat, kommt er aus den Überstunden nicht mehr raus. Mir soll’s recht sein. Nach Tagen wie heute genieße ich es, abends erst mal meine Ruhe zu haben.
Ich gieße mir ein Glas Rotwein ein und kuschele mich in meinen feuerroten Schaukelstuhl. Eines der wenigen Möbelstücke, die ich damals bei meinem Einzug in Thomas’ schreiend langweilig möblierte Junggesellenwohnung mitgebracht habe. Wie jede normale Frau habe ich seitdem des Öfteren versucht, unserer häuslichen Einrichtung etwas mehr Flair zu verleihen. Leider vergeblich.
Noch nicht mal den Couchtisch mit der hässlichen rosabraunen Granitplatte durfte ich entrümpeln. Obwohl er schon farblich in völliger Disharmonie zu meinem Schaukelstuhl steht. Was Thomas durchaus einsieht. Trotzdem hängt er an dem Tisch wie ein chinesischer Vater an seinem einzigen Kind.
Nach einem letzten feindseligen Blick auf das Granitmonster nehme ich die Zwergkiefer ins Visier, die bekümmert in einem Tontopf am Fenster steht. Die zweite Problemzone unserer Wohnzimmereinrichtung. Denn dieses Hochzeitsgeschenk von Martina und Stefan hätte zweifellos mehr Aufmerksamkeit verdient. Schließlich steht die zweistämmige Zwergkiefer für Harmonie und Glückseligkeit in Beziehungen, wie Martina mir damals erklärte.
Fürs neue Jahr habe ich die Kiefer deshalb auf die Liste meiner guten Vorsätze genommen. Umtopfen, düngen und entstauben ist nach sieben Jahren auch eigentlich nicht zu viel verlangt. Allerdings stehen noch eine Menge andere Sachen auf der Liste. Keller entrümpeln zum Beispiel. Kleiderschrank ausmisten. Weniger arbeiten, weniger trinken, weniger Pizza essen. Mehr Gemüse, mehr Sport, mehr Schlaf. Mehr Urlaub, mehr Zeit für die Beziehung. Mehr Leidenschaft. Mehr Sex.
Seufzend schenke ich mir Wein nach und lasse das letzte Jahr Revue passieren.
Viel Arbeit, viel Alkohol, viel Pizza. Wenig Zeit.
Wenig Sex.
Ich meine, ich bin keine Nymphomanin, aber öfter als einmal alle sechs bis acht Wochen dürfte es dann schon sein. Und wo wir gerade davon reden: Aufregender dürfte es auch sein. Und länger dauern.
Gut, Thomas ist im Bett eben Thomas und nicht Giacomo Casanova. Ich brauche aber auch nicht unbedingt den Zauber venezianischer Verführungskunst. Solide Hausmannskost kann durchaus auch ihren Charme haben. Jedenfalls wenn sie nicht betrieben wird wie eine partnerschaftliche Gymnastikübung.
Doch wenn Thomas sich tatsächlich mal zu erotischen Aktivitäten aufrafft, verströmt er unweigerlich die Disziplin und den Durchhaltewillen eines Iron-Man-Kandidaten. Und selbst den hatte ich in letzter Zeit eher selten zu Gast. Kuscheln auf der Couch, mehr ist derzeit nicht im Angebot. Wahrscheinlich arbeitet Thomas zu viel – der männliche Sexualtrieb ist ja sehr stressempfindlich, was man so hört.
Ich frage mich mal wieder kurz kritisch, ob »es« an mir liegt. Die Antwort fällt immer gleich aus: eher unwahrscheinlich. Thomas’ Vorgänger haben sich alle begeistert von meinem Sex-Appeal gezeigt. Allerdings darf der Gerechtigkeit halber nicht unerwähnt bleiben, dass ich mit keinem von ihnen zehn Jahre zusammen war. Ganz schön lang. Wer weiß, vielleicht hat der Zahn der Zeit bei Thomas schon ordentlich was weggenagt, auch wenn mein natürlicher Liebreiz, mein Oberschenkelumfang und meine Faltentiefe sich seit unserer ersten Begegnung fast nicht verändert haben.
Wenn wir uns schick aufbrezeln, um auszugehen – was nicht oft
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