Weniger sind mehr
verzichten und Ansprüche aneinander reduzieren. Alles der Kinder wegen. Diese Kinder sind Hindernisüberwindungskünstler. In sie wird viel investiert. Sie sind ihren Eltern viel wert. Insofern sind sie bessere Kinder als diejenigen, die die Hürden nicht übersprungen oder gar nicht vorgefunden haben. Für die Eltern gilt das Gleiche. Wenn vorwiegend solche Familien entstehen, die die erhöhten Hindernisse überwinden, dann nimmt die Quantität der Familien ab und ihre Qualität zu.
Genau dagegen versucht die
Politik
anzugehen. Sie schneidet sich damit ins eigene Fleisch. Für ihre eigenen Leitwerte der Durchsetzungsfähigkeit und der Legitimation braucht sie keine Kinder. Weder der Kaiser noch die Demokratie braucht Soldaten. Die westlichen Demokratien brauchen viel kleinere Armeen als früher, weil sie, wie Deutschland, in einem großen Verteidigungsbündnis quasi von Freunden umgeben sind. Die gesamtdeutschen Streitkräfte haben sich deshalb in den vergangenen 15 Jahren von fast einer Million auf 250 000 verringert. Sollte die Kindersubventionspolitik erfolgreich sein, würde sie die Politik in Westeuropa nicht nur unter Finanz-, sondern auch unter Legitimationszwänge setzen. Denn Politik kann zwar Krippenplätze, Elterngeld und |36| Elternteilzeit schaffen, aber keine Arbeitsplätze. Die französische Geburtenpolitik, die sich rühmt, die erfolgreichste in Westeuropa zu sein, hat sich denn auch eine Jugendarbeitslosigkeit eingehandelt, die um ein Mehrfaches höher liegt als die deutsche und in den Vorstädten 40 bis 50 Prozent erreicht. Die Folgen sind brennende Autos und Hasstiraden gegen die Politiker, die glauben, durch eine eigene Familien- oder auch Integrationspolitik den Eigensinn anderer Funktionssysteme, insbesondere der Wirtschaft, außer Kraft setzen zu können.
In Deutschland weiß man das – irgendwie. Aber die Mühlen der Kindersubventionspolitik mahlen weiter. Mit linkem Impetus sollen sozial Schwache und Alleinerziehende subventioniert werden. Die Rechten wollen besonders Leute mit vermeintlich guten genetischen und sozialen Voraussetzungen, also auch die berühmten 40 Prozent der Akademikerinnen, zu Eltern machen. Wenn es gelänge, was wäre gewonnen? Immer mehr Menschen würden Eltern, die sonst mangels Mittel oder wegen anderer Prioritäten, Stärken oder Schwächen diesen Weg nicht gingen. Ob das den Kindern, den Familien, der nationalpolitischen Gesellschaft zugutekäme? Wir wissen es nicht.
Bisher zeitigten Kindersubventionen wohl eher unerwünschte als erwünschte Folgen. Aber auch das wissen wir nicht mit Gewissheit. Subventionen können ja auch immer für anderes ausgegeben werden, zum Beispiel für Bildung und Wissenschaft hochbegabter Kinder, seien sie westlicher oder fernerer Herkunft.
Bevölkerungspolitiker sind heute bemitleidenswert. Man erwartet von ihnen, dass sie im Wettbewerb konkurrierender Lebensformen die »Rahmenbedingungen« für kinderreiche und gegen kinderlose Familien setzen: durch Gesetze, Subventionen, Vereinbarkeitsregelungen im Bezug auf Familie und Beruf. Aber welche Rahmenbedingungen nun wirklich eine liberale Selbststeuerung der verschiedenen Familienformen, ohne Bevorzugung der einen oder der anderen, ermöglichen, das weiß niemand zu sagen. So sind die Maßnahmen der Politik, auch die ständig geforderte |37| »Wertediskussion«, letztlich Symbole der Selbstbestätigung des politischen Systems. Was Politiker, Professoren, Kirchenfürste als Werte der Familie betonen, entwertet sich durch die Betonung selbst. Und so geht es auch mit anderen Maßnahmen: Was Kindern dienen soll – Mutterschutz, Erziehungsurlaub, Teilzeitbeschäftigung für Mütter und Väter –, kann Eltern schon im Vorhinein den Job kosten.
Bevölkerungspolitik hat also nicht nur individuelle Präferenzen der (potenziellen) Eltern gegen sich. Sondern auch, durch die Individuen hindurch wirkend, die Eigenlogik sozialer Systeme. Sich selbst stabilisierend, folgen sie ihrem Leitstern – im Falle der Familie Liebe – eher als den Dukaten und Phrasen, die die Politik in ihre Richtung auswirft. Der Eigensinn der Familie kann jederzeit dazu führen, dass aus einer sinkenden wieder eine steigende Geburtenrate wird. Aber nicht weil die Politik es so will, sondern eben: der Eigensinn.
Der wahrscheinlichere Fall ist, dass Kinder, wenn sie von funktionalen Systemen wieder verstärkt gebraucht werden, nicht auf dem Wege der nationalen Autarkie, sondern durch internationale Aufgabenteilung
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