Weniger sind mehr
nicht isoliert feststellbar, weil neben und mit den demografischen Faktoren zugleich eine Reihe von anderen eine Rolle spielen. Diese Unwägbarkeiten sind ein Einfallstor für alle möglichen Stimmungen. Je nachdem, ob die Teilnehmer der Debatte optimistisch oder pessimistisch, kulturkritisch oder fortschrittlich gestimmt sind, neigen sie dazu, den Abschwung der Geburtenrate als Glücksfall oder Unglücksfall auch für die Wirtschaft darzustellen. Analysieren wir etwas |43| genauer, wie die Wirtschaft mit niedrigen Geburtenraten und einer daraufhin möglicherweise schrumpfenden und alternden Bevölkerung umgeht.
Die Wirtschaft, das sind, nach allgemeinem Verständnis, diejenigen Aktivitäten und Organisationen, durch die Güter und Dienste bereitgestellt werden: alles, was eine Gesellschaft zum materiellen Überleben braucht. Wenn der Volksmund von »der Wirtschaft« spricht, hat er als aktive Beteiligte daran die Unternehmer, Arbeiter, Groß- und Einzelhändler, Bankkaufleute, Versicherungsagenten, Börsenmakler und Ähnliches im Sinn. Es gibt aber auch eine Wirtschaft im weiteren Sinn. Der gehören alle Menschen an, insofern sie das, was sie zum Leben benötigen, gebrauchen und verbrauchen, also nachfragen müssen.
Ob als Konsumenten oder Produzenten: Immer, wenn wir wirtschaften, versuchen wir das Verhältnis von Anstrengung und Ergebnis, Aufwand und Ertrag, Kosten und Nutzen so günstig wie möglich zu gestalten. Das bedeutet wirtschaftliches oder ökonomisches Handeln im weitesten Sinn. In diesem Sinne können wir sogar in der Liebe, in der Freundschaft oder in der Politik wirtschaftlich handeln. Wie weit das tatsächlich der Fall ist, lässt sich allerdings nicht auf dem Wege der Definition oder Ableitung ermitteln. Es ist eine empirische Frage. Der eine versucht im Umgang mit seinen Kindern bestimmte Erziehungsziele in kürzester Zeit oder mit geringsten Mitteln zu erreichen und bleibt so, auch in der Erziehungsaufgabe, ein Wirtschaftender. Der andere scheut keine Kosten und Mühen, ja er denkt gar nicht in Kosten-Nutzen-Begriffen, wenn es um seine Familie geht. Hier regiert in der Regel der Leitwert der Liebe. Dort, in der Wirtschaft, der Leitwert der Effizienz oder des günstigsten Kosten-Nutzen-Verhältnisses.
Auf drei Wegen könnte der Fall der Geburtenrate eine Wirtschaft in Schwierigkeiten bringen, die auf Wachstum und Wohlstand ausgerichtet ist: Der Konsum geht zurück, weil weniger Nachfrager nachwachsen und unter ihnen die Zahl der Älteren ansteigt, die ohnehin weniger verbrauchen. Zweitens: Das Angebot |44| geht zurück, weil weniger Arbeitskräfte nachwachsen. Oder drittens: Die Wirtschaftstätigkeit erlahmt, weil weniger Kapital gebildet und im Inland investiert wird. In all dem steckt eine Art malthusianischer Pessimismus. Sah man damals die wirtschaftliche Flaute durch sinkende Erträge des Bodens heraufziehen, so jetzt durch sinkende Arbeits- und Kapitalerträge.
Konsum
Heute fürchtet man in erster Linie eine Schwächung des Konsums. Weniger Menschen fragen weniger nach. Und alte Menschen fragen weniger nach als junge. Es sind ja die Jungen, die voller Wünsche, Bedürfnisse, Möglichkeitsfantasien, Aktivitäten, Begierden und Neugierden stecken. In den Konsumtempeln der kinderreichen aufstrebenden Gesellschaften Ostasiens drängen sich denn auch die jungen Leute oder drücken sich zumindest die Nasen platt. Die Kaufhäuser des Westens sind weniger gut besucht. Für ältere Leute, selbst wenn sie den Euro nicht umzudrehen brauchen, ist Einkaufen anstrengender, oft weniger notwendig und weniger lustvoll.
Aber ist es wirklich so, dass ältere und alte Leute weniger konsumieren? Was sich entschieden ändert, sind Art oder Muster ihres Konsums. Je älter die Menschen werden, desto weniger geben sie für Verkehr und Kommunikation aus. Da wird weniger gereist – dienstlich wie privat –, gependelt, telefoniert, gefaxt, gemailt. Stattdessen entfällt in den Altenhaushalten ein größerer Anteil der Gesamtausgaben auf Wohnungsmieten und Nebenkosten wie Elektrizität und Gas; die Alten sitzen eben eher daheim. Ebenfalls müssen sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Gesundheit und Pflege verwenden. Nur der kleinste Teil davon schlägt sich in ihrer privaten Nachfrage beziehungsweise im Familienbudget nieder. Viel mehr
lassen
sie nachfragen: durch ihre Versicherungen, Krankenkassen, Kliniken, Haus- und Fachärzte |45| , Pflegeheime und so weiter. Denn diese Institutionen sind es, die
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