Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
Körper, verzehrte und brannte auf und ihn ihm. Ihre Seite pochte immer noch dumpf und schmerzend und ließ sie nur schwer Luft holen. Schwer atmend warf sie einen Blick auf Céstine, die benommen am Boden lag und stöhnte. Die dünne Präsenz von Hoffnung glomm in ihr auf. Sie konnte es schaffen. Sie konnte lebendig aus diesem Zimmer herauskommen.
Schwerfällig rappelte sie sich auf die Beine, doch zum wiederholten Male hielt die Blondine sie wider Erwarten am Entkommen zurück. Sie hatte sich trotz Platzwunde und Desorientiertheit ebenfalls auf die Beine gebracht und rangelte nun aus dem Stande heraus mit ihr Gwens Fuß knickte um und kostete sie fast das existenzielle Gleichgewicht. Die Blondine versuchte behände sie ein weiteres Mal zu Boden zu pressen, doch sie setzte sich mit aller Gewalt dagegen zur Wehr. Während Céstine sie nach hinten drückte, warf sie ihren Körper nach vorne gegen den der Frau, um sich aufrecht stehend zu halten.
Schließlich gelang es ihr, so viel Kraft und Schwung in ihre Gegenwehr zu legen, dass Céstine selbst nach hinten kippte. Ihre Fingernägel bohrten sich jedoch fest in ihre Oberarme und zogen sie mit sich, sodass sie gemeinsam fielen – mitten in den Glastisch, der mit einem lautstarken Klirren zerbarst und sie durch ein Gläsermeer zu Boden stürzen ließ.
Gwen nahm wahr, wie scharfe Splitter ihre Haut aufschlitzten und sich in ihren Körper bohrten. Sie schrie schmerzvoll auf. Blut – ihr eigenes und das von Céstine – quoll aus dem verborgenen Körperinneren in die sichtbare Wirklichkeit, träufelte über das transparente Scherbenmeer und färbte es rot. Die Sensatin indes gab keinen Laut von sich. Regungslos lag sie da, wo sie aufgekommen war. Sie nutzte die Bewusstlosigkeit ihrer Angreiferin aus, schloss einen Augenblick lang die Augen, um wieder klar denken und zu Atem kommen zu können.
Und dann, als sie sie wieder öffnete, passierte in all dem Blut und Schmerz, in all dem Albtraum und Horror, etwas, das genauso unvorhersehbar war, wie alles Bisherige.
Ein seltsamer Ruck ging durch den Körper der Blondine. Ähnlich dem, den ein Defibrillator verursachte. Einzig mit dem Unterschied, dass hier niemand Hand an die Frau gelegt und sie zu beleben versucht hatte. Doch ganz deutlich vibrierte ihr Körper. Vibrierte etwas
in
ihrem Körper. Als Nächstes gab sie einen lauten und durchdringenden Atemzug von sich, als würde sie gerade aus einem tiefen Gewässer auftauchen. Dann schlug sie die Augen auf.
In diesem Moment verebbte jeglicher Schmerz in Gwens Körper, oder mehr: Sie nahm ihn schlicht nicht mehr wahr.
Die Augen der Sensatin – Céstines Augen – waren auf sie gerichtet. Intensiv und mit einem Ausdruck von Amüsiertheit. Doch es war nicht dieser unpassende Ausdruck, der allem in ihr und um sie herum plötzlich den Ton stahl, sondern die Augen selbst. Die Iris war Schwarz wie die tiefste und schwärzeste Nacht und die Pupille leuchtete in purpurnem Rot aus ihrer Mitte heraus.
Es spielte keine Rolle, dass der Schmerz sie nun nicht mehr tangierte und sie sich problemlos bewegen hätte können. Statt seiner hielt eine bleierne Schwere ihren Körper fest in den Klauen und machte es ihr unmöglich ihr eigenes Gewicht in die Höhe zu stemmen.
Die Augen weit aufgerissen, Céstine nicht aus den Augen lassend, robbte sie schwerfällig auf Händen und Füßen rückwärts, weg von der Frau. Glassplitter bohrten in ihre Handflächen, doch sie waren der Aufmerksamkeit nicht wert.
Ein Lächeln schlich sich nun auf das Gesicht der Blondine. Keines, das jemals zuvor dort getanzt hatte, sondern ein Fremdartiges und Unnatürliches. Alt und wach. Neugierig und abschätzend. Amüsiert und tödlich.
Sie erhob sich, sah an sich herunter, strich sich mit den Fingern über den kurvenreichen Körper und würdigte ihre Erscheinung mit entzückter Miene. „Nicht von schlechten Eltern würde ich sagen. Wirklich bedauerlich, dieser lädierte Zustand …“
Noch ehe etwas Weiteres geschah, formte sich die unglaubliche Erkenntnis in Gwen und sickerte schwer wie giftiger Treibsand durch ihren Körper:
ER
war es.
Den Blick nun auf sie gerichtet, legte er den Kopf leicht schräg und musterte sie, wie ein auf dem Baum sitzendes Vögelchen, das man interessiert und bedächtig beobachtete.
Sie konnte kaum Luft holen. Sie war wie paralysiert und unfähig irgendeine Regung aufzubringen. Panik und Irritation wogten in ihr. Todespanik angesichts ihres Gegenübers. Irritation
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