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Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Hennig
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Kapitel 1

    Tiefe Sehnsucht und unerfülltes Verlangen sprachen aus seinen Augen, die Gewissheit, die Liebe seines Lebens nie wieder in die Arme schließen zu dürfen. Zu groß war die Kluft der beiden Welten, die die Liebenden voneinander trennte. Welche Liebe könnte größer sein, als um des Glückes des anderen willen auf das eigene Glück zu verzichten? So ein Mann konnte einem förmlich den Boden unter den Füßen wegziehen. Selbstlosigkeit bis hin zur Selbstaufgabe. Für einen solchen Blick, der mit einem einzigen Augenaufschlag die ganze Tragik seines Lebens auf den Punkt brachte, würde jede Frau sterben, dessen war sich Elli sicher. Obwohl sie diese Szene, in der Daniel D. Lewis einfach nur aus dem Fenster blickte, schon mindestens hundert Mal gesehen hatte, schmolz sie auch diesmal beim Anblick seiner funkelnden Augen, die sie dank Pause-Taste immer noch vom Bildschirm ihres Vorführgerätes ansahen, restlos dahin.
    »Genau das meine ich. So etwas können die wenigsten«, stellte Norbert, einer ihrer Stammkunden, mit Begeisterung fest, als Elli die DVD aus dem Abspielgerät nahm. So, wie sie ihn einschätzte, gehörte Norbert mit Sicherheit auch nicht zu jenen, die es konnten, weder fiktional noch im wirklichen Leben. Ganz im Gegenteil: Anfang fünfzig, das lange graue Haar zu einem flotten Pferdeschwanz nach hinten gebunden, stets in weit aufgeknöpften Hemden und zugegebenermaßen immer noch mit Topfigur, die ihn in der Damenwelt, vor allem aber bei seinen Klientinnen, die um die berühmt-berüchtigte Casting-Couch bestimmt nicht herumkamen, begehrenswert machte. Norbert ließ nie etwas anbrennen. Oft genug brachten wechselnde flotte Bienchen die Filme zurück, die er sich bei Elli ausgeliehen hatte.
    »Tolles Anschauungsmaterial. An den Film hatte ich gar nicht mehr gedacht«, sagte er mit anerkennendem Blick.
    »Ist ja auch schon eine Weile her, dass er im Kino gelaufen ist«, räumte Elli versöhnlich ein. »Dennoch ein Klassiker.«
    »Dass Sie die Stelle so schnell gefunden haben«, wunderte sich Norbert.
    »Ich kenne Zeit der Unschuld in- und auswendig. Er ist einer meiner Lieblingsfilme«, gestand Elli schwärmerisch.
    »Solche Rollen möchte jeder, aber oft kommt das Wesentliche einfach nicht rüber. Man merkt, dass die Schauspieler den Part spielen.«
    Damit hatte Norbert recht. Viele Schauspieler, vor allem hierzulande, spielten eine Rolle eher mechanisch, anstatt vollends in sie hineinzuschlüpfen, sie zu leben. Daniel D. Lewis dagegen konnte das mit Bravour. Vermutlich eine Frage der Berufung. Was hatte Norbert ihr nicht alles an Absurditäten aus dem Gruselkabinett der Schauspielkurse am Theater erzählt? Ob es wirklich etwas brachte, sich als angehender Schauspieler vorzustellen, man sei eine Orange, um sich möglichst authentisch als Frischobst auf einer Bühne vor dem Ausbilder zu präsentieren? Orangen schmeckten jedoch nur dann gut, wenn sie eine gewisse Reife hatten und auf fruchtbarem Boden angebaut worden waren. Elli war sich sicher, dass man die hohe Schauspielkunst sowieso nicht erlernen konnte. Talent, Persönlichkeit und Charisma gehörten nun mal einfach dazu.
    Wie herrlich waren doch Fachsimpeleien aus der Welt des Kinos. Vielleicht mochte sie Norbert deshalb so gern, weil er sie an die Zeit erinnerte, als sie gemeinsam mit ihrem Mann Josef noch ein Kino geführt hatte. Was für spannende Momente. Prickelnde Filmpremieren an der Croi-sette. Cannes in den Siebzigern. Leinwandgötter zum Anfassen und Elli mitten im Getümmel. Einer Sophia Loren würde man auch heute noch alles abkaufen, vielleicht sogar die Rolle einer Orange.
    »Ich lasse die Bewerber das morgen mal spielen«, sagte der Castmg-Coach, dessen Optimismus, irgendwann doch einmal ein Toptalent zu entdecken, ungebrochen schien.
    »Das macht dann drei fünfzig. Oder sechs Euro bis nächste Woche.« Elli überlegte, wer den Film wohl diesmal zurückbringen würde, als sie Norberts Mitgliedsausweis durch den Kartenleser der Computertastatur zog und ihm die DVD in einer Verleihhülle mit der Aufschrift »Movietime« überreichte.
    »Was wäre ich nur ohne Sie?«
    Charme hatte er ja, und sein Lächeln, mit dem er sich von ihr verabschiedete, war bezaubernd. Elli wünschte, sie hätte mehr solche nette und vor allem treue Kunden. Die Stammkundschaft war in den letzten Jahren auf kaum mehr als ein paar Dutzend Leute geschrumpft. Eine Videothek war angesichts der Programmvielfalt in den Kabelnetzen und per Satellit — vom

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