Wenn das der Führer wüßte
bestand, automatisch tat, fertigte er mit der Linken den Passierschein für Höllriegl aus. Neben ihm saß ein Gehilfe, der gerade Margarine auf eine Brotschnitte strich. Die Loge war über und über mit Fähnchen und Spruchbändern geschmückt, auch eine Führerbüste gab es da und vergilbte Fotos, die einen grinsenden Damaschke in der alten Uniform der SA zeigten, bei Aufmärschen, vor Judengeschäften oder die WHW-Sammelbüchse schwingend. „Zimmer fummsehn, zwote Etahsche, Privattrakt“, sagte er brummig-jovial, humpelte mit knackender Beinprothese aus dem Zimmer und wies mit der Greifzange den Weg zum Kasernenhof. „Juhte Varichtung, Herr Heiminsreich!“ rief er Höllriegl nach.
Die langen Korridore waren überheizt, es roch nach Petroleum, schlechten Zigaretten, Pissoir, Lysoform und bürokratischem Staub – auch der Amtsgeruch war reichseinheitlich genormt. Parteien warteten auf Einlaß, aus den Zimmern drang das leise Geknatter von Schreibmaschinen. An den Wänden überall Führerbilder oder verblaßte schematische Darstellungen irgendwelcher vorsintflutlicher Schnellfeuerwaffen. Der Spruch „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ war längst übertüncht, aber noch zu lesen. Die Gänge des „Privattraktes“ stachen wohltuend durch roten Kokosläuferbelag und verhungert aussehende Kletterpflanzen von der spartanischen Aufmachung der anderen Flügel ab.
Als Höllriegl auf ein forsch gerufenes „Nur mal rinn in die Schohse!“ in das abgedunkelte Wohnzimmer trat, kam ihm Schwerdtfeger mit ausgebreiteten Armen entgegen. Der Dichter schüttelte beide Hände seines Besuchers. Schwerdtfeger, dreifacher Doctor honoris causa berühmter deutscher Universitäten, hatte eher ein hunnisches als germanisches Aussehen (und trug daher seinen asischen Ehrennamen „Hödr“ als Anachronismus), in einem Nibelungenfilm hätte er als König Etzel gute Figur gemacht. Kugelrunder, kurzgeschorener Schädel – die gemeißelte Fülle der Stirn war beachtlich –, Henkelohren, schräge gelbe Augen, gespitztes glattrasiertes Mündchen, aufgeworfene, ständig geschürzte Lippen. Die Zähne sichtlich falsch. Der mächtige viereckige Brustkasten, der sich – irgendwie knarrend – hob und senkte, gab dem Mann das Aussehen einer athletisch gebauten Panoptikumsfigur. Schwerdtfegers Hände waren so fein und chevaleresk wie seine Umgangsformen. („Vorkriegskavalier!“) Sein jüngster Roman, „Die Dämonen der Ostmark“, ein dicker Wälzer, in dem er ein breitangelegtes Gesellschaftsbild der Systemzeit entworfen hatte, war ein so lärmender Verkaufserfolg gewesen, daß sogar Höllriegl, der sonst Romane und überhaupt Literarisches wie die Pest haßte, nicht umhin konnte, ihn wenigstens auszugsweise zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin: der bedeutende Mann war Ostmärker, und diese Tatsache genügte, um eine vertraute, gemütliche Atmosphäre zu schaffen.
Die Unterhaltung war kurz. „Ich bin auf einer Vortragsreise“, begann Schwerdtfeger ohne Umschweife, nachdem er vergebens einen Trunk und Zigarren angeboten und sich selber unter umständlichem Gepaff eine angezündet hatte. „In Berlin genoß ich die hohe Ehre, vor den Spitzen der Reichsregierung lesen zu dürfen – der Führer war leider nicht zugegen. Sie wissen ja …“ Schwerdtfeger machte augenblicks, als hätte er sie vorrätig gehabt, eine gramvolle Miene. „Um es rasch zu sagen: es handelt sich um eine wichtige, hochgestellte Persönlichkeit, deren Arbeits- und Privaträume auf Erdstrahlen zu untersuchen sind. Ich habe von Ihnen und Ihren Erfolgen gesprochen, natürlich speziell von Ihrer Intervention damals bei mir in Döbling. Die Herren zeigten sich davon sehr angetan, und so ergab sich der Auftrag von selbst. Meine eigene Anregung also. Ich fand heraus, wohin der Wind Sie verschlagen hat, und da meine Vorlesungstour mich sowieso an Heydrich vorbeiführt, nahm ichs auf mich, Sie persönlich zu unterrichten. Es war nur nicht leicht herauszubekommen, in welchem Heydrich Sie wohnen. Im hiesigen habe ich schon einmal vorgelesen, vor zwei Jahren. Sture Gesellschaft hier. Kein rechtes Verständnis. Na, eben Provinz …“
„Ich danke Ihnen. Nur müßte ich die näheren Umstände wissen“, unterbrach Höllriegl das Geplauder seines Partners, der durch die saloppe, halb sportliche Kleidung andeuten zu wollen schien, daß er zur Nobelboheme gehörte, „unter welchen ich die Untersuchung vornehmen soll. Persönliche Kontakte wären wertvoll, auch sollte ich die
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