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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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konnten, und die Raben in den Bäumen saßen und lachten.
    »Wir müssen die Polizei rufen«, sagte Anise mit leiser, fester Stimme, und jetzt blickte sie auf und sah sie starr und streng an. »Sie sollen dafür bezahlen, diese Schweine, diese Jäger . Für jedes einzelne.«
    »Ja, Schatz, das tun wir.« Sie spürte, dass Wut und Hass und Verzweiflung sie aufs neue überkamen. »Ich werde gleich ans Funkgerät gehen und den Sheriff rufen, denn das ist unbefugtes Betreten und, ich weiß nicht, Sachbeschädigung oder –«
    »Mord.«
    Eine Meeresbrise kam auf – das scharfe Jodaroma stieg ihr in die Nase, der salzige Geruch von Schuppen, Federn und Flossen. Der Regen löste sich auf, bis es nur noch tröpfelte. »Das stimmt«, sagte sie. »Darauf läuft es hinaus.« Ungeduldig streckte sie die Hand aus. »Aber komm jetzt, Schatz, steh auf, beweg dich . Wir müssen ans Funkgerät, solange es noch die Möglichkeit gibt, sie zu schnappen.«
    Anise erhob sich und strich die nasse Jeans glatt. Die Lämmer lagen einfach da und blickten in den Wind, aber die Mutterschafe trotteten bereits herbei, und jedes erkannte sein Junges an Geruch und Stimme. »Aber was soll der Sheriff schon tun? Wenn er überhaupt kommt, dann erst in ein paar Tagen, und dann sind diese Kerle längst weg.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Rita und wandte sich zum Haus, »vielleicht können wir die Küstenwache alarmieren.« Einer der Männer, der Anführer, war ein großer Blonder mit kantigem Kinn, der aussah wie einer dieser blöden Catcher, die sich ihr Vater immer gern im Fernsehen angeschaut hatte, wenn sie ihn als Kind in New York besucht hatte. Er hatte sie nicht mal eines Blickes gewürdigt. Und er hatte kein Gewehr getragen wie die anderen beiden – sie waren vorbeigedonnert, die Gewehre über die Schultern gehängt, während sie an den Griffen ihrer Maschinen gedreht und nach Schlaglöchern, Hindernissen und einem dunklen Keiler Ausschau gehalten hatten. Wahrscheinlich hielt er sich für den wahren Könner, denn er hatte sich einen Bogen und einen Köcher voller Pfeile umgehängt. Der große starke Mann. Der große Held. »Denn sie müssen ja irgendwo ein Boot haben … «
    Anise ging neben ihr her, groß, schlaksig, die Schultern gebeugt unter der Last all dessen, was falsch war, und das Buch in seinem Plastikeinband an die Brust gepresst. Das Haus lag vor ihnen, aus dem Schornstein stieg Rauch, Bax’ Licht brannte, und alles war, als wäre gar nichts geschehen, als wären die Uhren und die Sonne stehengeblieben. »Was glaubst du, wo die sind? Smugglers’ Cove? Da haben wir doch Schilder aufgestellt – also können sie nicht sagen, sie hätten nichts gewusst … «
    »Keine Sorge, mein Schatz«, sagte Rita und ging, so schnell ihre Beine sie trugen. Das war aus irgendeinem Song, oder nicht? Sie hatte Texte im Kopf von all den Songs, die sie gehört und gesungen hatte und noch singen würde, wenn das hier vorbei war, und gerade jetzt stellte sie sich einen neuen vor, im Bluesrhythmus. Er würde von tödlicher, gnadenloser Rache handeln. »Keine Sorge«, wiederholte sie, und die Worte fühlten sich in ihrem Mund wie kleine kalte Steine an, »das werden diese Scheißkerle noch bereuen, das verspreche ich dir.«
    Aber sie bereuten es nicht. Sie würden es nie bereuen. Denn es hatten sich Räder in Bewegung gesetzt, von denen Rita nichts ahnte, und als sie die Treppe hinauf zum Schlafzimmer ging, stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass Bax aufgestanden war und sich seine Flanellhemden – er trug, je nach Temperatur, drei oder vier übereinander – und seine Jeans mit dem wegen des Gipsverbands abgeschnittenen Bein angezogen hatte. Er saß auf der Stuhlkante und versuchte, die Socken überzustreifen, doch jedesmal, wenn er die Arme nach seinem gesunden Fuß ausstreckte, ließ der Schmerz in den Rippen ihn zurückfahren, als wäre er an einem Gummiseil befestigt. Er verzog das Gesicht. Stieß einen Fluch aus. »Verdammt!« knurrte er, als sie zur Tür hereinkam. »Kannst du mir mal helfen? Und meine Stiefel. Wo sind meine Scheißstiefel?«
    Sie streifte die Socken über seine kalten weißen Füße mit den dicken gelben Nägeln und den breiten Zehen, bevor sie etwas sagte, und als sie es sagte, war sie schon wieder an der Tür. »Du meinst deinen Stiefel. Denn der linke passt nicht über den Gips, nicht mal, wenn ich ihn aufschneide. Und ich weiß nicht, ob du überhaupt aufstehen solltest.«
    »Ich hab zwei Schüsse gehört«, sagte er und

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