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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Es gab einen Augenblick der Schwerelosigkeit, gefolgt von einem rumpelnden Schleifen und dem Aufspritzen pissgelben Wassers, als sie in den Scorpion River eintauchten und sich die gegenüberliegende Böschung hinaufkämpften. Der Schalthebel vibrierte unter ihrer Hand, der Motor hustete und keuchte. Sie schaltete in den ersten Gang und fuhr die Straße zum Hügelkamm hinauf, immer weiter, vorbei an der Stelle, wo Bax mit dem Jeep abgestürzt war, und in Serpentinen immer höher hinauf, bis Scorpion Bay unter ihnen lag: Die Ranch war das Zentrum eines Spinnennetzes aus Straßen und Wegen, die sich von ihr in alle Richtungen erstreckten, als wäre sie der Mittelpunkt der Welt. Die Bäume webten ihren grünen Saum, und die Mutterschafe waren nur noch kleine farblose Flecken, die ihre Lämmer leckten. Das Gewehr lag zu ihren Füßen auf dem Wagenboden und rutschte hin und her, während sie durch Schlaglöcher und Kurven fuhr. »Was hast du vor?« fragte sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre Schultern zuckten, der Sitz unter ihr bockte, und Bax klammerte sich an den Türgriff.
    Er sah sie gequält an. Die Schmerzen in den Rippen machten ihm zu schaffen, das war deutlich, aber im Augenblick empfand sie keinerlei Sympathie für ihn, nicht das allerkleinste bisschen. »Ich weiß nicht«, sagte er, und das Gewehr rutschte mit dem Lauf voran durch das Fahrerhaus, so dass sie es mit dem Fuß vom Gaspedal schieben musste. »Ich glaube, ich werde mal mit ihnen reden müssen.«
    Als sie den Hügelkamm erreichten, begann der Himmel aufzuklaren. Die dunklen Wolken zogen ab und verdeckten die Küste des Festlands im Norden, und alle hatten einen silbernen Saum. Hier kamen sie besser voran, denn das Terrain auf der Mesa zwischen den beiden Ranches war völlig eben, aber die Straße war schlammig, und hinter jeder Kurve lauerten herabgerollte Felsbrocken oder mehr oder weniger große Erdrutsche. Ein halbes Dutzend Mal musste sie aussteigen und Felsen beiseite wälzen oder die Schaufel schwingen, die für ebensolche Gelegenheiten auf der Ladefläche lag, und die ganze Zeit saß Bax da und kochte innerlich. Selbst zur besten Jahreszeit war die Straße nicht gut befahrbar – jedes Frühjahr nach der Regenzeit mühten sich Bax und Francisco abwechselnd, den alten John-Deere-Bulldozer zum Leben zu erwecken, um Felsen und Gebüsch aus dem Weg zu räumen und die ausgewaschenen Schründe zu schließen –, doch jetzt, da der Jeep mit seinem Allradantrieb Schrott war und nur noch der Pick-up zur Verfügung stand, war sie besonders schlimm. Während sie schleudernd die Mesa durchquerten, dachte Rita mit Grauen an die Serpentinen, die sie gleich würde hinunterfahren müssen. Das würde schlimm werden – wenn die nasse Erde nachgab, wenn die Räder sich auf die Böschung zubewegten, die keine Böschung mehr war, sondern die Kante eines Abhangs, einer Schlucht.
    Als sie den nächsten Hügelkamm erreicht hatten und die Straße abzufallen begann, konnten sie Smugglers’ Ranch und den inzwischen verwilderten Olivenhain erkennen, den jemand angelegt hatte, als die Ranch noch bewirtschaftet gewesen war, als es Heuwiesen für das Vieh gegeben und man Trauben gepflückt und Olivenöl gepresst hatte. Alles sah aus wie immer, jedenfalls von hier oben, aber sie wagte es nicht, die Augen für mehr als einen kurzen Blick von der Straße zu wenden, während sie durch ausgewaschene Rinnen fuhr, so weit rechts, dass das bisschen Lack, das noch auf den Kotflügeln und der verbeulten Tür sein mochte – das einzige, was zwischen Bax und der Felswand war –, einfach abgeschliffen wurde. »Herrgott«, sagte er – zweimal –, aber davon abgesehen sprach er kein Wort.
    Das Lenkrad zuckte hin und her wie eine Handvoll Schlangen, die Räder drehten durch, griffen und drehten abermals durch. Sie warf einen raschen Blick durchs Seitenfenster, und soweit sie erkennen konnte, waren keine Boote da, weder vor Anker in der Bucht noch an Land gezogen, doch als der Weg weniger holprig wurde und sie länger hinsehen konnte, bemerkte sie die Spuren der Trikes vor dem verlassenen Haus. Sie verliefen in engen, eleganten Bogen, die einander überkreuzten und schnitten, und ihre Botschaft war nur allzu klar.
    Sie hielt vor dem Haus an, stellte den Motor ab und zog mit einer ruckartigen Armbewegung die Handbremse an. Das Haus war ein zweistöckiger Bau aus Lehmziegeln, genau wie das Ranchhaus in Scorpion, aber hier waren die Fenster zerbrochen, längst eingeworfen oder

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