Wenn das Schlachten vorbei ist
Präzisionsgewehren und einem Fünfzig-Pfund-Bogen. »Sie haben denen die Erlaubnis gegeben, hier zu jagen. Und ich wollte nicht, dass du dich aufregst und wütend wirst, denn wenn die Besitzer das so haben wollen, können wir sowieso nichts dagegen tun – nur dass ausgemacht war, dass sie unseren Grund nicht betreten, sondern in den Hügeln bleiben, und jetzt haben sie den Vertrag gebrochen.« Er wandte wütend den Kopf zum anderen Ende des Raums, wo Anise an dem großen Stahlblechtisch saß, an dem sie ihren Papierkram erledigten, und »Mayday!« in das Mikrofon des Funkgeräts rief. »Schalt das verdammte Ding ab! Anise! Schalt das Ding ab!«
Rita legte die Hand auf seinen Arm. Er verzog das Gesicht, schwankte und versuchte, mit zwei Händen und zwei schimmernden, lackierten Krücken das Gleichgewicht zu bewahren, das Gewehr zu halten und zugleich die Tür zu öffnen. »Was hast du vor? Willst du sie erschießen? Du kannst ja kaum stehen.«
Er war draußen auf dem Treppenabsatz, und dann stieg er vorsichtig die Stufen hinunter. Die Gummikappen der Krücken sanken tief in den Matsch ein und waren dunkel verschmiert. Seit es den Jeep nicht mehr gab, war ihr einziges Transportmittel der altersschwache Ford Pick-up, den einer ihrer Vorgänger hinterlassen hatte. Bax und Francisco hatten ihn wiederbelebt, doch er war extrem launisch, und sie steckten so viel Zeit hinein wie eine Boxencrew vor einem Autorennen. Bax’ Schultern über den Krücken waren hochgezogen, er nickte bei jedem mühsamen Schritt, und das Gipsbein schwang wild vor und zurück, als er auf den Wagen zuging. Sie war direkt hinter ihm, ebenso wütend über diese Absprache, die er ihr wochenlang verschwiegen hatte, wie über das Abschlachten der Lämmer. Er zerrte vergeblich an der Beifahrertür, schlug mit der flachen Hand auf das verrostete Blech, fuhr herum und funkelte sie an. »Mach die verdammte Tür auf. Und dann setz dich ans Steuer.«
Sie öffnete die Tür, und er kletterte mühsam und fluchend hinein. Das Gipsbein war wie ein Stück Holz, das er irgendwie unterbringen musste, das Gewehr rutschte klappernd über den Boden, die Krücken verhedderten sich, Holz stieß polternd gegen Metall. Als sie ihm helfen wollte, schüttelte er sie ab und zerrte an den Krücken, als wollte er sie zerbrechen, und so gab sie es auf, ging zur Fahrerseite und setzte sich ans Steuer. Sie sah zu, wie er sich mit den sperrigen Holzkrücken abmühte, und wollte etwas sagen, verkniff es sich aber, denn er würde tun, was er sich in den Kopf gesetzt hatte, und weder Ratschläge noch Sympathie oder Appelle an die Vernunft würden daran etwas ändern, und so schob sie den Schalthebel auf Leerlauf, trat auf Kupplungs- und Gaspedal, drehte den Zündschlüssel und hörte, wie der Anlasser drehte und der Motor mit einem von keinem Auspuff gedämpften Dröhnen ansprang. Bax saß jetzt im Wagen, er hatte die Krücken auf die Ladefläche geworfen und die Tür zugeknallt. Sie gab Gas und legte den Gang ein, und der Pick-up setzte sich in Bewegung und holperte durch die Schlaglöcher. »Wohin?« fragte sie mit leiser, scharfer Stimme, und am liebsten hätte sie ihn wissen lassen, was sie von ihm hielt, doch er kam ihr zuvor.
»Smugglers’«, sagte er.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Ranchhaus dort, heruntergekommen, unbewohnbar, eine Art Geisterhaus, in das sie manchmal ging, um Schutz vor Regen zu suchen oder den Phantomschritten der Schäfer zu lauschen, die einst auf den Dielenbrettern herumgestampft waren. Dort würden die Männer sein, das wusste sie. Aber was sie nicht gewusst hatte – was er ihr nicht gesagt hatte –, war, dass sie den Segen der Besitzer hatten. Dass die Besitzer beschlossen hatten, zu diversifizieren, weil die Schafzucht so gut wie nichts einbrachte und sie wie jeder Investor eine Rendite wollten. Sie lebten an der Küste, in schönen, warmen Häusern, sie aßen in Restaurants und gingen ins Kino, in den Yachtclub, ins Konzert oder wohin auch immer und hatten keine Ahnung, wieviel Arbeit und Engagement Bax und sie in die Ranch gesteckt hatten. Nicht die leiseste Ahnung. Nicht den Hauch einer Ahnung.
Plötzlich hatte sie Angst. Vor drei Stunden noch hatte sie sich sicher gefühlt, sie war heiter gewesen, gelassen, ihre Gedanken waren auf das Lammen gerichtet gewesen, auf das Leben, auf Geben und Zuwachs, und jetzt war sie in einem brennenden Haus mit vernagelten Fenstern gefangen. Sie riss am Lenkrad, trat auf die Bremse und dann aufs Gas.
Weitere Kostenlose Bücher