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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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keine Luft mehr. Ihre Gedanken sprangen von einer Misslichkeit zur anderen wie ein Grashüpfer auf einem heißen Bürgersteig. »Komm«, flüsterte sie, nahm seine Hand und zog ihn herein.
    Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf folgte er ihr steif ins Wohnzimmer, wo ihre Großmutter im Sessel saß und sich eine Seifenoper ansah.
    Kat nahm ihm die Geschenke ab und legte sie auf das Sofa. Dann erhob sie die Stimme, damit ihre Großmutter sie hören konnte, und sagte: »Ich möchte dich meiner Großmutter vorstellen. Oma, das ist Greg.«
    Im Lauf des vergangenen Jahres hatte sich der Geist ihrer Großmutter verwirrt, das Gesicht war unbeweglich geworden, die Augen blickten stumpf, die Hände lagen zitternd in ihrem Schoß. Mit Mühe hob sie den Blick und das bebende Kinn. Greg beugte sich vor und streckte die Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, murmelte er, doch sie starrte nur auf seine Hand und erwiderte nichts.
    »Greg ist mein Freund, Oma – ich hab dir von ihm erzählt«, sagte Kat, und plötzlich fröstelte sie, von einem kalten Hauch getroffen, als wäre das Haus ein Gletscher, der sich gerade unwiderruflich spaltete. Sie wandte sich zu Greg und sagte: »Oma ist ein bisschen schwerhörig« – ein Lächeln –, »stimmt’s, Oma? Aber meine Mutter … ich glaube, sie zieht sich gerade was Hübscheres an. Warte hier, ich hole sie.«
    Seine Stimme klang gepresst – auch er steckte in der Gletscherspalte. »Bemüh dich nicht«, sagte er.
    Ihr gefiel der Gedanke, dass sie während dieses Urlaubs in Mexiko mit Alma schwanger geworden war, aber das konnte nicht sein, denn Alma kam erst im Oktober, also musste es passiert sein, als sie wieder auf dem College waren. Jedenfalls wurde sie schwanger, obwohl sie die Pille nahm und ihr nicht einmal ansatzweise bewusst war, dass sie auch nur den leisesten Wunsch verspürte, ein Kind zu bekommen – jedenfalls jetzt noch nicht. Diese Schwangerschaft schloss sie in den Gletscher ein, bis dieser sie wieder freigab. Sie konnte nicht zurück nach Hause. Und sie ging auch nicht zurück nach Hause. Sie machte die Abschlussprüfung (ihre Mutter weinte bei der Zeremonie, ohne den Grund oder das Ausmaß ihres Kummers zu kennen), und dann zog Kat mit Greg nach Santa Barbara. Er arbeitete auf einem der Boote seines Vaters und tauchte vor der Südküste von Santa Cruz nach Hummern und Abalone.
    Anfangs wohnten sie bei Gregs Eltern auf der Mesa, gleich oberhalb des Yachthafens, doch trotz der Größe des Hauses – weitläufig und altmodisch, mit Veranden und Balkons und Ausblicken auf das Meer durch die nach Süden und Osten gelegenen Fenster – ging es dort recht beengt zu. Da waren Gregs fünf Geschwister, allesamt jünger als er und fortwährend in geschwisterliche Rivalitäten verstrickt, da waren seine Großmutter väterlicherseits, zwei unverheiratete Onkel und eine bunte Mischung aus Hunden, Katzen und in Käfigen gehaltenen, grässlich schreienden Vögeln. Obwohl Greg und sie ein eigenes Zimmer hatten, fühlte Kat sich dort nicht heimisch. Ihre Schwiegermutter wehrte jedes Angebot zur Mithilfe im Haushalt ab – Kat durfte weder Gemüse schneiden noch abwaschen oder auch nur den Abfall hinausbringen, und jedesmal, wenn sie sich auf das Sofa setzte oder die Küche betrat, fühlte sie sich wie ein Eindringling, was sie ja auch tatsächlich war. Und obgleich sie, wie sie fand, keinerlei Vorurteile hatte, war es doch eigenartig, in einem japanischen Haushalt zu leben – oder vielmehr in einem japanisch-amerikanischen Haushalt, wie sie sich ständig korrigierte.
    Nicht dass Gregs Familie so viel anders gewesen wäre als irgendeine andere Familie – man aß Steaks, Burger, Hot-dogs und so weiter, wenn auch vielleicht mehr Fisch, denn damit verdiente man ja schließlich das Geld. Aber jeder andere Haushalt, und sei es der im Nachbarhaus ihrer Mutter in Venice, wäre ihr ebenso merkwürdig erschienen, besonders in ihrem Zustand. Sie war an Stille und Ordnung gewöhnt, an ein Haus, in dem Frauen aus drei Generationen in Frieden lebten und arbeiteten, ohne die störende Anwesenheit von Männern, Kindern und Haustieren. Hier dagegen herrschte Chaos, hier war alles fremd: Dies war eine neue Gemeinschaft mit neuen Regeln. Die Gerüche waren anders, die kleinen Rituale rund um das Essen, die Regeln, wer wo zu sitzen hatte, der Lärm und das Toben der Kinder und ihrer Freunde, ja selbst die Hunde – zwei Akitas – waren anders als alle, die sie je gesehen hatte: Ihre Köpfe

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