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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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mit mir herumzutragen, aber dein Vater war ein Schatz. Darin war er gut. Er hat mich total unterstützt. Und er hat dich geliebt von dem Moment an, in dem du geboren wurdest. Er hat dich vergöttert.« Sie hat noch mehr gesagt – eine Lobeshymne auf die Hausgeburt mit Hebamme, denn ein grell ausgeleuchteter steriler Kreißsaal sei ja wohl kaum der richtige Ort, um das Licht der Welt zu erblicken. Sie selbst hätten damals eine Geburtsparty veranstaltet, wusste sie das eigentlich? Und sie hätten alles gefilmt – »Man konnte deinen kleinen Kopf hervorkommen sehen, ein kleines, weiches, rotes Ding, so winzig, dass ich dachte, ich bringe eine Mango zur Welt« –, aber leider sei der Film irgendwann verlorengegangen.
    Erst als sie den Schwangerschaftstest in der Hand hält, im zu hell erleuchteten Gang zwischen den Regalen steht und, während andere Frauen in Tenniskleidung und Joggingschuhen und abgewendetem Blick vorbeiwispern, die Gebrauchsanweisung studiert, denkt sie an den zukünftigen Vater, an Tim. Tim, der im Augenblick auf der Insel ist, außerhalb des Mobilfunknetzes, und Steinadler fängt. Sie überfliegt den Text ( Mit einer Genauigkeit von 99% – Fünf Tage früher! ) und sieht sein Gesicht vor sich, sieht, wie er die Mundwinkel nach unten zieht, wenn er überrascht oder verblüfft ist. Und er wird überrascht sein, keine Frage, denn sie haben die Möglichkeit eines Kindes nie erörtert, jedenfalls nicht ernsthaft. Sie verhüten, und zwar diszipliniert, und obwohl sie Tim zuliebe auf Kondome verzichten, vergisst sie nie – niemals, ganz gleich, wie erregt sie sind –, ihr Diaphragma einzusetzen. Sie sind beide überzeugte Umweltschützer. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Ökosystem zu schützen und zu bewahren, es wiederherzustellen. In diese überbevölkerte Welt ein Kind zu setzen ist unverantwortlich, falsch, eigentlich nichts anderes als Sabotage …
    Aber warum fühlt sie sich dann so beschwingt? Warum fühlt sie sich mit einemmal so groß und gewaltig und den anderen Frauen, die keinen Schwangerschaftstest in den Händen halten, so weit überlegen? Weil sie ein Lebewesen ist, darum, und weil Lebewesen sich fortpflanzen. Der einzige erkennbare Zweck des Lebens ist es, weiteres Leben hervorzubringen – jeder Biologe weiß das. Sie ist siebenunddreißig. Ihre Uhr tickt. Sie ist ein einzigartiger Mensch mit einem einzigartigen genetischen Bauplan, Vertreterin einer überlegenen Linie – das ist Fakt, ganz vorurteilsfrei gesehen –, und Tim mit seinem hohen IQ, seiner ausgeglichenen Persönlichkeit und seinen langen, eleganten Gliedmaßen ebenso, und wenn es irgendeine Hoffnung auf Verbesserung der Spezies geben soll, haben sie geradezu die Pflicht, ihre Gene weiterzugeben.
    Die Frau an der Kasse – jenseits der Wechseljahre, mit sprödem Haar und Falten, die an den Mundwinkeln ziehen – sieht aus wie eine Mutter, wenn auch eine, deren Schwangerschaften lange zurückliegen, und als sie Almas Einkauf scannt und in eine Tüte packt, schenkt sie ihr ein kleines komplizenhaftes Lächeln. Alma, die sich noch immer groß und gewaltig fühlt, erwidert den Blick und lächelt zurück. »Einen schönen Tag noch«, sagt die Frau, und diese abgedroschene Formel hat mit einemmal ein ganz neues Gewicht. Alma schafft es nicht, sich ein Grinsen zu verkneifen, als sie die Plastiktüte nimmt und den Kassenbon hineinsteckt. »Bestimmt«, sagt sie. »Ganz bestimmt.«
    Zu Hause steht ihre Mutter vor der Badezimmertür, während sie versucht zu pinkeln, was ihr aber aus irgendeinem Grund nicht gelingt. Sie sitzt lange auf der Toilette und denkt an Tim und daran, wie sie es ihm sagen wird, denn sie brennt geradezu darauf und ist so gut wie sicher, dass der Teststreifen in ihrer Hand zwei leuchtendrosarote Striche zeigen wird: positiv. Sie könnte ihn natürlich per Funk erreichen, aber was sollte sie ihm dann sagen: Wie ist das Wetter bei euch, und übrigens: Ich bin schwanger ? In vier Tagen kommt er nach Hause. Sie wird ihn am Boot abholen, seine Hand nehmen, ihn die Treppe hinauf ins Docksider führen, eine Nische aussuchen, ihm ein Firestone und einen Teller fritierte Kalamari bestellen, ihm tief in die Augen sehen und geheimnisvoll lächeln. Was ist? , wird er sagen und in Erwartung des Witzes lächeln. Und sie wird noch ein bisschen mit ihm spielen, unter dem Tisch über seinen Oberschenkel streichen und sich zu ihm beugen, um ihn zu küssen. Sie wird sich Zeit lassen. Den Augenblick genießen …

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