Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
Paaren, die den Bürgersteig entlangeilen, gebeugt unter Regenschirmen, und in diesem Augenblick fällt ihr ein, dass sie ihren Schirm vergessen hat.
    »Tim? Hast du einen Schirm mitgenommen?«
    Er sieht sie mit seinem erschrockenen Blick an: hochgezogene Brauen, die Augen weit aufgerissen, nach Worten suchende Lippen – das Ganze sowohl Parodie als auch Hommage auf seinen Lieblings-Talkmaster. Er kann sehr komisch sein, nichts ist ihm heilig, kein Anlass ist so feierlich oder so wichtig, dass er nicht einen Witz darüber machen würde. Aber dies ist nicht die rechte Zeit. Oder der rechte Ort.
    »Also nicht?«
    Er schüttelt den Kopf, spielt noch immer den Trottel, als wäre das alles ein großer Witz, als könnte er sie auch nur ansatzweise beruhigen. »Nein. Tut mir leid. Soll ich zum Eingang fahren und dich vor der Tür absetzen? Oder nein, ich trage dich. Soll ich dich tragen?«
    »Nein«, fährt sie ihn an und denkt an ihre ruinierte Frisur und das verlaufene Make-up, denkt daran, dass sie am Mikrofon stehen wird, als wäre sie gerade von einem Boot gefallen, »nein, ich will nicht, dass du mich trägst. Hast du denn nicht gesehen, dass es Regen geben wird? Hast du überhaupt nicht nachgedacht?«
    Als sie einen Monat zusammen waren, hat sie ihm, bevor sie zusammen nach Scottsdale gefahren sind, wo er Katherine kennenlernen sollte, ein genaues Bild von ihrer Mutter gezeichnet, von ihrer Persönlichkeit, ihren Gewohnheiten und Vorlieben – ein zwar im großen und ganzen liebevolles, aber auch schonungsloses Porträt. Ihre Mutter war eine Käuferin, eine unermüdliche Käuferin. Eine Kaufsüchtige. Es gab nichts, was sie nicht sammelte – Tonperlen, Zuni-Türkisschmuck, Fiestazubehör, Porzellanpuppen, antike Abfalleimer und viktorianische Möbel, so wuchtig und dunkel, dass sie das Licht aus jedem Zimmer drängten. Angesichts eines sterbenden Planeten und ausgebeuteter Rohstoffreserven hätte sich wohl jede Tochter dafür geschämt, aber für eine Ökologin, die sich der Aufgabe verschrieben hatte, die Öffentlichkeit aufzuklären, war es niederschmetternd und unerklärlich. Und es tat weh, sehr weh. Sie fand es auf vielen Ebenen schlimm. Unter anderem fand sie schlimm, dass sie es überhaupt erwähnte – als würde sie dadurch ihre Mutter und die Liebe ihrer Mutter verraten. Und was war das erste, was Tim dazu sagte? »Ich weiß den Sammeltrieb zu schätzen«, erklärte er, als er sich mit dem Gimlet, den ihre Mutter ihm in die Hand gedrückt hatte, auf das Sofa im Wohnzimmer sinken ließ, »ganz gleich, ob das ökologisch korrekt ist oder nicht. Meine Mutter – die wirst du noch kennenlernen, sie lebt in Upstate New York, aber sie besucht mich ungefähr zweimal im Jahr –, meine Mutter war genauso. Aber dann hab ich zu ihr gesagt: ›Für Frauen ist die Jagd nach Antiquitäten das, was für Männer das Angeln ist. Ich verstehe das. Aber heutzutage geht es darum, Ressourcen zu schonen, und darum werfen die meisten ihre gefangenen Fische wieder ins Wasser. Du weißt schon: Man kostet die Aufregung aus, man schleicht sich an die Forellen an und wirft die Fliege aus, man zieht dieses geheimnisvolle, wunderschöne Wesen aus dem Wasser, eins von einer Million, so wertvoll wie Gold, aber dann lässt man es wieder frei.‹ Und jetzt macht meine Mutter es genauso. Sie ist total geheilt. Sie geht in ein Geschäft, stößt auf irgend etwas Wunderschönes, was immer es ist, feilscht so verbissen, als würde es sie umbringen, auch nur zehn Cent mehr zu bezahlen, und dann legt sie das Geld hin, lässt sich das Ding einpacken – und gibt es wieder zurück. Verstehst du? Fangen und wieder freilassen.«
    Er gibt keine Antwort. Aber er lässt den Wagen vorwärtskriechen und betätigt die Lichthupe, um den Leuten in dem BMW zu signalisieren, dass ihr Verhalten korrekturbedürftig ist. »Warum parkt ihr denn nicht gleich mitten auf der Straße? Na los«, treibt er sie an, »nun macht schon.« Wer immer sie auch sind – im Gegenlicht heben sich plötzlich zwei Silhouetten ab, der Hinterkopf eines Mannes und das Profil der Frau neben ihm, deren Haar aussieht wie ein schlampig gewickelter Turban –, sie scheinen begriffen zu haben, worum es geht. Die Schultern des Mannes machen eine rasche Bewegung, er lenkt nach rechts und macht widerwillig den Weg frei.
    Und in diesem Augenblick überkommt sie dieses Gefühl – was ist es? Entsetzen? Ärger? Hass? –, und sie will es nicht wissen, sie will nicht hinsehen, sie starrt wie

Weitere Kostenlose Bücher