Wenn das Schlachten vorbei ist
nicht mehr über ihrem Scheitel hängt.
»Hallo«, hört sie sich sagen, und der Verstärker schleudert ihre Stimme durch den Saal, so dass sie mit hallendem Vibrato in alle Winkel dringt. »Ich möchte Ihnen danken, dass Sie gekommen sind, besonders an einem so« – und hier hält sie inne, sucht nach dem rechten Wort, das die Spannung herausnimmt und eine freundliche Atmosphäre erzeugt, und wie ist der Abend denn überhaupt? –, »an einem so ungemütlichen Abend.« Ja, ungemütlich. Allgemeines Geraschel, als säße das ganze Publikum auf einem riesigen, gespannten Papier, und dann beugt sie sich zu ihrem Computer, und auf der großen Leinwand hinter ihr erscheint das erste Foto: Anacapa bei Tagesanbruch, der Arch Rock leuchtet ikonisch, und das Meer blinkt so friedlich, als wäre es in Öl gemalt. »Das ist Anacapa«, sagt sie überflüssigerweise, »eine der Inseln des Nationalparks Santa-Barbara-Inseln, jener Inseln, die man oft als die Galapagos-Inseln Nordamerikas bezeichnet.«
Die Galapagos-Inseln Nordamerikas. Eine abgedroschene Phrase, die sie aber in Presseerklärungen und bei formellen und informellen Vorträgen gern gebraucht, denn sie verfehlt nie ihre Wirkung: Die Zuhörer denken sogleich an Sonderausgaben von National Geographic , sehen vor ihrem geistigen Auge Blaufußtölpel, Fregattvögel, Vampirfinken und Meerechsen in liebevollen Großaufnahmen, während im Hintergrund azurblaue Wellen an ein zerklüftetes Gestade schlagen, und stellen dann in Gedanken die gewünschte Verbindung her: Diese Inseln, unsere Inseln, sind ebenso einzigartig. Und haben es ebenso verdient, geschützt zu werden. Nicht bloß geschützt, sondern auch wiederhergestellt zu werden.
Sie hebt den Kopf und sieht ins Publikum, wendet den Kopf nach rechts und links, als spräche sie jeden einzelnen von ihnen persönlich an, obwohl sie wegen der Scheinwerfer und weil ihre Brille auf dem Podium liegt und das Licht im Saal gedimmt ist, kaum über die zweite Reihe hinaussehen kann. »Anacapa«, sagt sie und lässt jede Silbe für sich allein stehen, »ist, wie Sie sicher wissen, ein einzigartiges und unersetzliches Ökosystem, eine Heimat für eine ganze Reihe endemischer Tier- und Pflanzenarten, die es nirgendwo sonst gibt, vom Anacapa-Goldlack und einer autochthonen Malacothrix aus der Gattung der Wegwarten bis hin zu Schildgrille und Anacapa-Hirschmaus, Peromyscus maniculatus anacapae , so wie die anderen Inseln einzigartige Vogelarten sowie den Tüpfelskunk und« – hier klickt sie mit der Maus, so dass das nächste Foto erscheint, das jedesmal beifälliges Gemurmel hervorruft – »den Insel-Graufuchs beherbergen. Diese Füchse haben sich im Verlauf der sechzehntausend Jahre, die seit der Abtrennung der Inseln vom Festland vergangen sind, zu einer eigenen Unterart entwickelt, die den bei Inselpopulationen oft beobachteten Zwergwuchs aufweist. Diese kleinen Burschen« – sie sieht auf die Leinwand, wo der Fuchs im Dämmerlicht steht, die Ohren aufgestellt, die Vorderpfoten ordentlich nebeneinander und mit einem Blick, aus dem die ganze Wildheit eines Plüschtiers spricht – »wiegen im Durchschnitt drei bis fünf Pfund und sind so groß wie eine Hauskatze … eine Hauskatze, die sich ausgiebig und regelmäßig bewegt.« Die letzte Bemerkung, ihr Eisbrecher, sorgt immer für den ersten Lacher des Abends oder wenigstens für ein schuldbewusstes Schmunzeln, wenn die Katzenbesitzer an ihre übergewichtigen, an Trockenfutter gewöhnten Zimmertiger denken, die zu Hause schlafend auf dem Sofa liegen.
Jetzt hat sie es geschafft, das Publikum ist gefesselt. Was macht es schon, dass sie insgeheim findet, alle streunenden Katzen sollten abgeschossen werden? Sie findet ihren Rhythmus, die lateinischen Bezeichnungen gehen ihr so leicht über die Zunge, als wäre sie eine Novizin, sie hat alle Fakten und Zahlen parat und braucht nicht auf die Notizen zu sehen, die sie in einer 22-Punkt-Schrift ausgedruckt hat, damit sie keine Brille braucht und das Publikum ihr direkt in die Augen sehen kann. Hinter ihr erscheint ein Bild nach dem anderen, sie präsentiert einen kurzen Überblick über die Biogeographie der Inseln und erklärt, wie sich an isolierten Orten Spezies entwickeln und die Nischen des Ökosystems füllen und dass ein solches einzigartiges Gleichgewicht, wie es auf vielen Inseln in aller Welt herrscht, durch die Einfuhr von Festlandarten empfindlich gestört werden kann. Sie spricht vom Dodo, dem Paradebeispiel für eine
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