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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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für alle Zeit ein Totem des Park Service: Erinnerst du dich an diesen Clown? Wie hieß er noch? Der versucht hat, Vitamintabletten zu verstreuen und dabei über die Klippe gegangen ist?
    Trotz des Sweatshirts zittert er, als er Wilson auf sich zukommen sieht. Der Himmel ist jetzt durchgehend dunkel, der Wind ist stärker und kälter geworden, die Büsche nicken in seinem Rhythmus, kleine Holzstückchen und Samen fliegen an Dave vorbei, getrieben von Böen, die von überall her zu kommen scheinen. Er fährt fort, die Mischung in die Luft zu werfen, auch wenn ihm langsam dämmert, dass der Abwurf nicht heute erfolgen wird. Keine über ihm schwebenden Hubschrauber, keine verblutenden Ratten, keine Behördenbüttel, denen man ausweichen oder entgegentreten müsste. Er denkt, dass er besser auf den Wetterbericht hätte achten und flexibler sein sollen – aber andererseits ist er ein Mensch, der einen Plan macht und sich dann daran hält, und das ist der Grund seines geschäftlichen Erfolges. Gib nie auf, streck nie die Waffen und vor allem: Gesteh nie ein, dass du im Unrecht bist. Wilson marschiert auf ihn zu, sein rechter Arm bewegt sich rhythmisch und wirft eine Handvoll nach der anderen über die Schulter. Er kommt näher und grinst. »Wie sieht’s aus?« ruft er, als sie noch ein paar Meter voneinander entfernt sind. »Hast du noch was übrig? Ich hab so gut wie alles verstreut.«
    Sie bleiben kurz stehen, den Rücken zum Wind gekehrt, und Wilson zieht eine Packung Zigaretten aus der Innentasche. »Scheißkalt, was?« sagt er. »Ich hab ja schon gehört, dass das Wetter hier draußen launisch sein kann, aber das hier« – er steckt sich eine Zigarette in den Mundwinkel, legt die Hand schützend darum und zündet sie an –, »das ist regelrecht brutal. Wusstest du, dass es so kalt werden würde? Ich meine, wer hätte das gedacht?«
    Das ist keine Klage, sondern eher ein Ausdruck der Solidarität wie unter Frontsoldaten. »Ja, scheißkalt«, ist alles, was Dave dazu sagen kann, auch wenn er die gute Absicht zu würdigen weiß. Der Schock seines Sturzes vergeht, bestimmt wird er ihn nicht erwähnen, weder jetzt noch sonst irgendwann. Es ist wie damals auf der High School, als er Football gespielt hat: Wenn dich einer rammt, stehst du einfach auf und machst ein paar Schritte, bis der Schmerz vergangen ist. Er sieht das Gesicht des Trainers vor sich, eine freudlose, egopralle, abgewrackte Kloake von einem Gesicht über einem grauen Sweatshirt und einer silbrig blitzenden Trillerpfeife an einem roten Band. Geh herum, bis du es nicht mehr spürst. Das hat er immer gesagt, selbst wenn man sich die Schulter ausgekugelt oder das Knie verrenkt hatte.
    Wilson sieht unter dem tief in die Stirn gezogenen Schirm der Baseballmütze zum Himmel und sagt: »Ich weiß nicht – ich hab das Gefühl, gleich fängt es an zu regnen.«
    »Ja. Ich auch. Aber wenigstens können diese Scheißer dann nicht fliegen. Jedenfalls heute nicht.«
    »Ich hab mich gefragt«, sagt Wilson und kratzt mit der Schuhspitze in der Erde, während der Wind ihm den Rauch der Zigarette von den Fingern reißt und er die Augen zusammenkneifen muss, »was eigentlich passiert, wenn es regnet. Was passiert dann mit diesem Zeug? Wenn es richtig regnet. Ich meine, wenn es regnet wie aus Eimern, wie im Monsun, denn das ist jetzt die Jahreszeit dafür. Verschwenden wir hier unsere Zeit? Wird das Zeug einfach weggespült?«
    Wenn es so ist, wird er es nicht zugeben. »Nein, glaube ich nicht. Und dass sie das Gift heute offensichtlich nicht abwerfen werden, macht auch nichts. Das gibt den Tieren Zeit, das Vitamin zu speichern. Denen macht es nichts, wenn das Zeug nass ist. Ratten sind schließlich nicht besonders wählerisch.«
    Wilson zuckt nur die Schultern. Er blickt über das Meer zum Horizont, der hinter einem Mahlstrom von Wolken verborgen ist. »Was weiß ich? Das ist deine Abteilung. Du sagst, was gemacht wird.« Ein Zug an der Zigarette, die Glut leuchtet auf. »Du wolltest doch heute hier rausfahren, oder?«
    »Ja.«
    »Okay, und hier sind wir jetzt. Dann wollen wir mal aufhören zu quatschen wie zwei alte Omas im Schaukelstuhl und die Sache zu Ende bringen, damit ich mich an die Heizung setzen und den Champagnerkorken knallen lassen kann. Lang leben die Ratten, stimmt’s?«
    Sie brauchen eine weitere halbe Stunde, um das Plateau abzugehen. Er und Wilson bewegen sich in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zueinander, und der Wind nimmt weiter zu. Als der

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