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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bleibt ihm beinahe in der Kehle stecken. »Nie gesehen.«
    Ein Augenblick vergeht. Wilson hat die Hand schon an der Leiter und ist drauf und dran, in das Boot hinunterzuklettern, und das sollte er ebenfalls tun – er sollte verschwinden und das hier vergessen. »Sie wissen doch, dass es gesetzlich verboten ist, Tiere in einem Nationalpark zu füttern, oder?« sagt Sickafoose. »Wenn es das ist, was Sie getan haben. Das ist doch Tierfutter, nicht?«
    Noch ein Augenblick, länger, viel länger. Er denkt an die Ratte, die er an einem traurigen Morgen neben der Straße gefunden hat, fest in das Gewand ihrer Qual gehüllt, ein vollkommenes Wesen, ganz und gar vollkommen, das ihm in allen Einzelheiten lebhaft vor Augen steht – die blassen, feingliedrigen Finger und Zehen, die Schnurrhaare, zurückgestrichen und glänzend, als wären sie gebürstet, die zarte Schnauze, die dunklen, blutigen Nasenlöcher und die in den Höhlen liegenden leidenden Augen –, und das alles ist so sinnlos, so falsch, falsch, falsch. Doch er sagt nur: »Lassen Sie mich jetzt durch oder was?«
    Dann sitzen sie im Beiboot. Und dann sind sie wieder an Bord der Paladin . Und dann kommt der Regen, er kommt in einer Reihe von Böen, die die Wellen zum Kochen bringen, und scheiß auf den Champagner, scheiß auf diese ganze Aktion, denn von allen Augenblicken, die vergangen sind, seit er die Paladin gekauft hat, von allen Augenblicken, die er damit verbracht hat, das Boot in Schuss zu halten und damit bei jedem Wetter und in schwerster See die Küste hinauf und hinunter und zu den Inseln zu fahren, wählt der Motor ausgerechnet diesen, um den Dienst zu versagen.

BOIGA IRREGULARIS
    Als Mitte der fünfziger Jahre der Bestand der einheimischen Vögel auf der Insel Guam stark zurückging und sie in den sechziger und siebziger Jahren ganz verschwanden, wusste niemand, warum. Der Verdacht der Forscher fiel auf DDT, Pflanzenschutzmittel, den Verlust von Lebensraum sowie Epidemien, und erst als Julie Savidge Anfang der achtziger Jahre Feldforschungen für ihre Dissertation betrieb, fiel das wissenschaftliche Augenmerk auf ein bis dahin wenig beachtetes Reptil, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf Guam aufgetaucht war. Die in Australien, Malaysia und Neuguinea beheimatete Braune Nachtbaumnatter war wohl in einer Munitionskiste, im Motorraum eines Militärfahrzeugs oder vielleicht im Radkasten eines Transportflugzeugs der Marine auf die Insel gelangt. Ihr Auftreten wurde zwar registriert, doch da diese Tiere nachtaktiv sind und auf Bäumen leben, kamen nur wenige Menschen mit ihnen in Kontakt. Nachdem Savidge alle anderen Faktoren ausgeschlossen hatte, beschloss sie, die Ausbreitung der Schlangen von Apra, dem im Westen gelegenen Haupthafen, bis zu den südlichen, östlichen und nördlichen Küsten der Insel zu dokumentieren, und stellte fest, dass es eine Korrelation zwischen ihrer Zunahme und dem weitgehenden Verschwinden der einheimischen Vogelwelt gab. Das Rätsel war gelöst. Das Problem bestand weiter.
    Auf Guam fand die Braune Nachtbaumnatter ein Schlangenparadies vor. Die einzige andere Schlangenart war ein harmloses Tierchen, so groß wie ein Regenwurm, und stellte keine Konkurrenz dar, und es gab keinerlei Raubtiere, die die Zahl der Nachtbaumnattern begrenzt hätten. Das Nahrungsangebot war reichlich und bestand aus etwa achtzehn weltweit einzigartigen Vogelarten, die, wie andere Inselspezies, jener Naivität zum Opfer fielen, die dem Dodo und seinesgleichen zum Verhängnis geworden war. In ihrem angestammten Lebensraum lebt Boiga irregularis in einem natürlichen Gleichgewicht mit anderen Spezies und ist nicht besonders beeindruckend oder gefährlich. So ist ihr Gift, das durch Giftzähne im hinteren Bereich des Mauls injiziert wird, relativ schwach und für Menschen kaum gefährlich. Außerdem ist sie nachtaktiv und daher nur selten zu sehen, und da sie sehr schlank ist – Exemplare von etwa einem Meter Länge sind nicht dicker als der Zeigefinger eines Mannes –, wirkt sie nicht annähernd so bedrohlich wie einige andere tropische Schlangen, wie die Kobras, Boomslangs, Mambas und Wassermokassinottern, die durch die Alpträume der Ophiophoben gleiten.
    Dennoch hat sie sich als eine der erfolgreichsten und schädlichsten invasiven Spezies überhaupt erwiesen. Von den erwähnten achtzehn endemischen Vogelarten gibt es noch elf, zwei davon – die Guamralle und der Zimtkopfliest – existieren nur noch in Gefangenschaft, sechs sind in ihrem

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