Wenn das Schlachten vorbei ist
Bestand bedroht und drei weitere stark dezimiert. Die Populationsdichte der Braunen Nachtbaumnatter – bis zu fünftausend pro Quadratkilometer – gehört weltweit zu den höchsten. Sie ist unglaublich anpassungsfähig und frisst, wenn sie keine Vögel fangen kann, ebenso gern einheimische Frösche und Eidechsen sowie die eingeführten Geckos, Skinke, Aga-Kröten und alle anderen Tiere, die durch ihren Schlund passen. Sie wird bis zu drei Meter lang und erscheint in Toiletten, Duschen und Babybetten. Seit 1978 gab es zwölftausend Stromausfälle, weil Nachtbaumnattern auf Strommasten geklettert waren und Kurzschlüsse verursacht hatten – unabsichtlich natürlich, aber trotzdem fielen Lampen, Computer und Kühlschränke aus. Vor allem sind Nachtbaumnattern hervorragende, furchtlose und zunehmend gierige Kletterer, auf deren Speiseplan inzwischen nicht nur Tierfutter, sondern auch Haustiere stehen (in einem dokumentierten Fall ein drei Wochen alter Golden-Retriever-Welpe), ja eigentlich alles, was nach Fleisch riecht. Oder nach Blut.
Daran denkt Alma, als sie den Ausdruck des Artikels »Der Einsatz von Paracetamol zur Bekämpfung von Boiga irregularis in insulären Habitaten« liest, der neben ihrem Laptop liegt. Sie sitzt an einem der leise schwankenden Resopaltische in der Hauptkajüte der Islander , die nach Anacapa unterwegs ist. Sie trinkt etwas Kaffee aus dem Pappbecher und starrt auf den Bildschirm, wo die ordentlich ausgerichteten Zeilen sich mit der Tischplatte, dem Deck und dem Rumpf darunter hypnotisch heben und senken, und sie hat noch nicht gemerkt, dass sich Kopfschmerz ankündigt, aber einmal pro Minute hebt sie wie im Reflex den Blick vom Bildschirm und sieht über das Meer, als wollte sie ihren Augen mehr Weite gönnen. Dann kehrt sie zu ihrem Text zurück, schlägt die Rücktaste an und fügt eine Formulierung ein oder ergänzt einen Satz, wobei sie lautlos die Lippen bewegt. Ihre Stirn ist gerunzelt, aber auch das merkt sie nicht.
In der Kajüte sowie auf dem Vorder- und Achterdeck ist Platz für etwa hundertfünfzig Menschen, und heute sind fünfundachtzig dieser Plätze für Angestellte des National Park Service und verschiedene am Anacapa-Wiederherstellungsprogramm beteiligte Biologen reserviert, darunter auch Tim. Außerdem sind einige Journalisten von AP , Los Angeles Times und Santa Barbara Press Citizen , ein Dutzend Lokalpolitiker und Multiplikatoren sowie ein Fernsehteam vom örtlichen NBC-Büro an Bord. Im Laderaum stehen drei große Kühlschränke, vollgestopft mit mariniertem Hähnchenfleisch, Putenwurst und Tofuburgern zum Grillen, verschiedenen Salaten, Vollkornbroten und einem Topf Chili und Reis, ein vierter enthält Erfrischungsgetränke, in Flaschen abgefülltes Trinkwasser und Desserts, und in einem fünften befindet sich ausschließlich Champagner. Zwei Kartons. Gut gekühlt. Kalifornischer Champagner aus dem mittleren Preissegment, wie es dem Budget des NPS ansteht, aber dennoch Champagner – oder vielmehr Sekt.
Das Meer ist ruhig, der Nebel löst sich bereits auf. Der Kapitän hat die Fahrt verlangsamt, weil eine Schule Delphine in Sicht gekommen ist, und die meisten Passagiere – Touristen, Wanderer, eine von Zucker und Hormonen befeuerte Gruppe von Sechstklässlern, die der Kontrolle der beiden geplagten Lehrerinnen zunehmend entgleitet – sind an Deck gegangen, um die glänzenden Cetazeen wie zum Leben erweckte Schatten durch das Wasser schießen zu sehen. Als sie aufblickt, entdeckt sie Tim unter ihnen, in der linken Hand einen Pappbecher mit Kaffee, in der rechten ein Fernglas.
Es ist Anfang Juni, zehn Uhr morgens, knapp zweieinhalb Jahre nach dem ersten Abwurf des Bekämpfungsmittels, und sie machen diesen kleinen Ausflug einzig und allein um zu feiern: Während die Journalisten auf ihre Tastaturen einhämmern, die Fotografen mit Digitalkameras hantieren und das Fernsehteam filmt, wird sie zusammen mit Freeman Lorber, dem Direktor des Parks, das Sektglas erheben und verkünden, dass die drei Inseln, aus denen Anacapa besteht, zu hundert Prozent rattenfrei sind. Im Augenblick ist sie damit beschäftigt, ihre Presseerklärung zu formulieren – der Artikel des Reptilienforschers Robert Ford Smith, mit dem sie auf Guam zusammengearbeitet hat, muss warten, bis sie einen Augenblick Zeit hat. Er ist heute morgen per E-Mail von der Forschungsstation in Ritidian Point an der Nordspitze der Insel, wo die Strände waschpulverweiß sind, wo die Vegetation wuchert und es
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