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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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überallhin. Oben angekommen – das Plateau ist gewellt und baumlos, und es ist nichts zu sehen außer dem Leuchtturm und ein paar weißgestrichenen Baracken (an einer hängt ein Schild mit der Aufschrift »Ranger«) – trennen sie sich. Wilson nimmt den Rundweg, der nach rechts führt, er selbst den linken. »Okay«, sagt er. Der Wind zerrt an ihm, und das Blut durchpulst ihn, bis er das Gefühl hat, er könnte abheben und mit den Möwen durch die Luft segeln. »Denk daran, dass das Zeug nicht nur rechts und links des Wegs, sondern auch auf den Klippen landen muss.«
    Wilson sieht ihn unter dem tief in die Stirn gezogenen Schirm der Mütze hervor an, als hätte er gerade einen guten Witz gehört. Oder erzählt. »Ja, das hast du schon mal erwähnt. Ungefähr sechshundertmal.«
    »Und wir treffen uns dann in der Mitte« – der Pfad verläuft weitgehend flach und ist nicht mal drei Kilometer lang – »und gehen die Diagonalen ab, damit wir soviel Gelände wie möglich abdecken.«
    Wilson fährt fort zu grinsen und hebt die Faust, damit sie in einer Geste der Solidarität die Knöchel aneinanderstoßen können, und dann geht jeder seines Weges. Die Sonne ist jetzt auf dem Rückzug, Wolken liegen wie Haufen alter, faseriger Seile über dem Horizont im Norden, die Böen sind so stark, dass sie ihm die Körner praktisch aus der Hand reißen, und so dauert es nicht lange, bis er das Zeug einfach hoch in die Luft wirft und das Verteilen dem Wind überlässt. Es ist herrlich. Als wäre er ein spielendes Kind. Die Vitamintabletten sind blassgelb, das Katzenfutter ist rostrot, blutrot, und er will gar nicht wissen, woraus es gemacht ist, er will nicht an Abfälle denken, an Knochen und das Zeug, das auf dem Boden des Schlachthofs herumliegt – es reicht ihm zu sehen, wie es von seinen Händen auffliegt und wie Konfetti verweht und verwirbelt wird.
    Mit gegen den Wind gesenktem Kopf den Pfad entlang. Und wenn es regnet? Werden sie den Abwurf verschieben? Werden die Tabletten sich auflösen, wird das Katzenfutter stinken und verfaulen? Er weiß nicht genug über die Zusammensetzung, und außerdem ist es zu spät, um die Sache abzublasen. Und selbst wenn die Mischung vom Regen aufgeweicht wird, ist es höchst wahrscheinlich, dass die Ratten sie trotzdem fressen werden – immerhin sind sie Ratten, geboren, um zu stöbern und zu horten und sich den Bauch vollzuschlagen, bis er anschwillt wie ein Ballon –, und das fettlösliche Vitamin wird sich in ihrem Gewebe anreichern. Wer weiß, vielleicht sagt die Mischung ihnen so sehr zu, dass sie die Massen blauer Körnchen, die der Park Service auf sie abwerfen wird, einfach ignorieren. Das denkt er, während er am Rand der Klippe entlanggeht und hin und wieder kleine Abstecher macht, um die Mischung bis an die Kante zu werfen, ganz hingegeben an den Rhythmus von Greifen, Ausholen und Werfen, und nach und nach fühlt er sich besser und beginnt zu glauben, dass doch noch alles klappen wird.
    Er ist ganz dem Augenblick hingegeben, atmet tief, schreitet aus, er riecht den Geruch des Salbeis, Vögel schweben über ihm, Eidechsen huschen vor ihm davon. Bald stellt er fest, dass es ihm hier tatsächlich gefällt: Entlang der Küste des Festlands drängen sich zwanzig Millionen, während diese Insel so menschenleer ist wie zu der Zeit, als sie sich aus dem Meer erhoben hat. Außer Wilson natürlich. Und dem Park-Service-Typ, der mit dem Boot gekommen ist. Und nicht zu vergessen dem hier stationierten Ranger, der in seinem weißen Häuschen mit dem atemberaubenden Ausblick zweifellos auf seinem Hintern sitzt, Krimis liest, Spaghetti kocht und bis zum Erblinden Gin in sich hineinschüttet.
    Er ist jetzt vom Pfad abgegangen – Greifen, Ausholen, Werfen – und denkt an das geradezu unvorstellbare Maß an Grausamkeit, das ein Wissenschaftler besitzen muss, der für einen Chemiekonzern arbeitet, für Montsanto, Dow oder Amvac, der all seine Tatkraft und all sein Talent, ja eigentlich sein ganzes Leben der Aufgabe widmet, ein Mittel zu entdecken, das so tödlich ist wie Brodifacoum, und dann das richtige, das unwiderstehliche Mischungsverhältnis findet, das dieses Zeug zu einem Rattenheroin, einem Rattenkokain macht. Da stolpert er plötzlich über den Zweig eines Busches, und mit einemmal ist es ganz windstill. Es geschieht so schnell, dass er es gar nicht begreift: Die rissige, von Wurzeln durchzogene Erde verschwindet unter seinen Ellbogen, als er vornüberfällt, Staub steigt ihm in die

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