Wenn das Schlachten vorbei ist
Gletscherblicks und sagte: »Fleisch ist Mord. Und Eier ebenfalls.«
Jetzt, vier Jahre später, sitzt er neben ihr im Gerichtssaal und taucht aus seinen Gedanken auf, als Sterling Sickafoose in die Zange nimmt und seine langweilige, staubtrockene Stimme mit einemmal zum Leben erwacht: »Sie sind sich also nicht sicher, welchen der beiden Männer Sie aus einer Entfernung von etwa tausend Metern werfende Bewegungen haben machen sehen?«
Und Sickafoose rutscht auf dem Stuhl hin und her, schlägt ein ums andere Mal die Beine übereinander und ist plötzlich ganz klein. Schließlich flüstert er: »Nein.«
»Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden.«
»Nein. Ich bin mir nicht sicher.«
Anise fährt zu ihm herum, ihr großes, strahlendes Gesicht gleitet auf das seine zu wie ein Luftballon – eine Umarmung, ein Kuss. War’s das? Haben sie endlich aufgegeben, diese Hurensöhne, diese Mörder, diese … Und dann ist er plötzlich, unerklärlicherweise, wieder auf dem Boot, und vor ihm erhebt sich die paradiesische Insel aus dem Meer. »Weißt du, warum diese Bucht Coches Prietos heißt?« fragt sie ihn. Die postkoitale Margarita auf der Reling wiegt sich sanft hin und her.
»Muss irgendwas mit Wagen zu tun haben. Coches? Ich weiß nicht – dunkle Wagen?«
»Damals gab es hier keine Wagen.« Sie lächelt schelmisch, ein überlegenes Lächeln. Immerhin ist es ihre Insel. »Und jetzt auch nicht.«
»Ich weiß es nicht«, sagt er. »Keine Ahnung. Ich kapituliere.«
»Coches ist ein Slangwort für Schweine. Verstehst du? Die Schlucht der dunklen Schweine. La Cañada de los Coches Prietos . Die dunklen Schweine, das sind die, die im neunzehnten Jahrhundert verwildert sind. Sie sind groß und gefährlich und schnell. Jedenfalls die Keiler.«
»Genau«, sagt er. »Und darum müssen sie abgeknallt werden. Allesamt.«
»Ja«, sagt sie und greift nach dem beschlagenen Glas. Sie hat sich nicht wieder angezogen, ebensowenig wie er. »Aber das werden wir nicht zulassen.«
Eine Woche später ist er wieder vor Gericht. Wieder dreht sich ihm der Magen um, wieder ist seine Stimmung düster, doch diesmal hat er auf Jackett und Krawatte verzichtet. Statt dessen trägt er ein schwarzes T-Shirt, auf dessen Brust in leuchtendem Orange das neue FPA-Symbol – das Verbotsschild mit dem Schwein – prangt, während auf dem Rücken in derselben Farbe und in Fraktur steht: STOPPT DAS SCHLACHTEN! Warum auch nicht? Er ist hier, um das Urteil des Richters zu hören, und ob er diesen Saal nun als Gefangener oder als freier Mann verlassen wird – er wird es so tun, wie es ihm gefällt.
Die Dinge haben sich in der Zwischenzeit sehr erfreulich entwickelt, viel besser, als er gehofft hatte. Die Presse hat die Sache aufgegriffen und aus seiner Sicht geschildert, denn Zeitungen finden so etwas einfach unwiderstehlich. Rattenaktivist vor Gericht; Rattenfreund: »Ich wollte Tiere retten«; Vorwürfe gegen National Park Service; LaJoy: »Stoppt das Schlachten!« Und es sind nicht nur die Lokalblätter – auch einige Großstadtzeitungen zeigen Interesse. AP hat die Story gebracht, sogar USA Today . Er würde gern glauben, dass die Leute auf seiner Seite stehen und begreifen, dass auch noch das geringste Leben einen Wert hat, aber Anise hat ihn die ganze Woche ständig daran erinnert, dass es da auch einen Freakfaktor gibt. Rattenfreund . Das ist beinahe ein Widerspruch in sich, jedenfalls für die meisten. Er hat gehört, dass zwei Moderatoren des örtlichen Oldie-Senders im Frühstücksradio Witze darüber gerissen haben, Witze auf seine Kosten, aber trotzdem zieht die Sache weitere Kreise, als er es sich in seinen Träumen erhofft hat. Und das bedeutet Geld. Seit Beginn des Prozesses haben sich die Spenden an die FPA vervielfacht: Allein in der vergangenen Woche sind beinahe dreitausend Dollar eingegangen.
Sterling – fünfzig, kahlköpfig, mit Doughnutkrümeln auf dem Revers und einem stahlharten, ins Gesicht gravierten Lächeln – wirft sich neben ihm in die Brust, als der Richter eintritt und alle sich erheben. Im nächsten Augenblick setzen sie sich wieder. Man hustet, schneuzt sich, scharrt mit den Füßen. Es gibt eine Verzögerung von mindestens fünfzehn Minuten: Der Richter blättert in Akten, spielt mit seiner Lesebrille herum und bespricht sich mit diesem oder jenem Anwalt; das diskrete Murmeln ihrer Stimmen ist wie ein Hintergrundgeräusch, wie das Summen von Insekten oder das Wispern eines Ventilators. Während der Richter –
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