Wenn der Acker brennt
genommen, wollte sich den Blicken der anderen nicht aussetzen. »Musstest du uns das antun?«, rief Maria, als sie an Jeremias’ Grab trat. Mit Tränen in den Augen schaute sie auf den schlichten Sarg, den Barbara für ihren Mann ausgesucht hatte. Wenigstens im Tod sollte er bescheiden sein, hatte sie gesagt.
Alle wussten, wem Marias unerwarteter Ausbruch galt. Die Bürger von Sinach starrten unverblümt zu Christine hinüber. In dem ärmellosen weißen Kleid und den roten Ballerinas erschien sie den meisten nicht dem Anlass entsprechend angezogen.
Christine spürte ihre Blicke, hob die beiden roten und die eine weiße Rose auf, die vor ihr im Gras lagen, und ging zuerst zu Georg Denningers Grab, an dem auch Rick stand.
Sie warf eine rote Rose auf den Sarg. Rick sah zu Boden und tat, als bemerke er sie nicht. Es kostete sie Überwindung, weiter zu Karl Borgrieders Grab zu gehen, dem sie die zweite rote Rose zugedacht hatte.
Als sie sich schließlich doch der Menschenmenge näherte und vor dem Grab ihres leiblichen Vaters stehen blieb, trat Maria mit versteinerter Miene zur Seite.
»Ich wünsche dir Frieden, Vater«, sagte Christine so laut, dass es alle hören konnten, dann ließ sie die weiße Rose auf den Sarg fallen. Anschließend verließ sie mit hocherhobenem Kopf den Friedhof. Niemand sollte bemerken, dass sie mit den Tränen kämpfte und ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Sie lief die Straße entlang, bis sie den Feldweg erreichte, der zu Georg Denningers Hof führte. Sie wollte noch einmal an den Ort zurückkehren, wo sie erfahren hatte, dass Amata ihre Halbschwester gewesen war.
Die Ruine des Hofs erhob sich wie ein Mahnmal inmitten der verkohlten Felder. Je näher sie kam, umso langsamer wurde sie. Aber es war nicht die Ruine, die sie anzog. Sie wollte zur Lichtung. Zu Amata, zu Rick, zu ihren Erinnerungen.
Der Weizen auf den Feldern war verbrannt, und es roch noch immer nach verkohltem Holz. Anstelle des Kellereingangs klaffte nun ein großes Loch im Boden. Die versengten Baumstämme waren gegeneinandergerollt, sahen aus wie ein Floß, das an Klippen zerschellt war.
»Ich werde dich nie vergessen, Rick«, flüsterte Christine traurig. Es war vorbei, sie musste allein in ihre alte Welt zurückkehren.
Sie wollte schon den Weg ins Dorf einschlagen, da sah sie ihn. Er lehnte an einer halbhohen Mauer, die vom Feuer verschont geblieben war. Als sie näher kam, nahm er seine Sonnenbrille ab, fing ihren Blick auf und hielt ihn fest. »Könntest du dich für den Weinanbau begeistern?«, fragte er und kam ihr entgegen.
»Ja, Rick, das könnte ich.« Alles kann ich mir mit dir vorstellen, dachte sie, als er sie in seine Arme nahm und zärtlich an sich zog.
Hannsdieter Loy
KIRCHWIES
Landkrimi
ISBN 978-3-86358-225-8
Leseprobe zu Hannsdieter Loy,
KIRCHWIES
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Kirchwies
Diese Geschichte berichtet vom Dorf Kirchwies, welches »Das Herzlichste« genannt wird. Sie erzählt von seinen Eigenheiten und von denen der Bewohner und schildert den Mord, der die Einwohner verschreckt aufscheuchte und kopflos werden ließ. Sie erzählt, wie es zu dem Mord kam, warum gerade diese Leiche gefunden wurde und nicht eine andere und welche Rolle der Bürgermeister Campari und der Pater Timo dabei spielten. In Kirchwies, einer Insel des Friedens im Voralpenland, ist dies alles wohlbekannt, sehr oft schon erzählt und ausgetratscht worden. Denn der Bayer, wenn er in Fahrt ist, neigt zu Übertreibungen.
Kirchwies ist ein etwas schief geratenes Gebirgsdorf und liegt an einem bauchigen Hang, einen kleinen See zu Füßen und einen dunklen Fichten- und Kiefern-Wald sowie den Berg im Rücken. Metzgerei, Bäckerei, der Uhrmacher, der Schmied, die Dorfwirtschaft, die bezaubernde, von Linden beschattete Dorfstraße mit lüftlbemalten Häusern – neben jedem wächst mindestens ein Obstbaum – reihen sich aneinander und sind in ein Tal mit Weiden und Wiesen und einer Handvoll Bauernhöfen eingebettet. Wo sich der Feldbach und der Kirchbach weiten, öffnet sich der Grünsteinsee. Und hoch droben im dunkelgrünen Wald thront als weißer Fleck das uralte Wieskircherl und schaut aufs Tal hinab.
Warum Kirchwies so heftig begehrt ist? Das ist eine lange Gschicht. Ein neu Zugroaster sagte erst kürzlich wieder: »Ich mag ein Leben mit weitem Blick aus allen Fenstern, ein Leben mit den Jahreszeiten, ein Leben mit Tieren. Ein Leben mit Eis und Schnee im Winter, Krokussen und Amselrufen im Frühjahr, Heuduft und dreißig Grad im Sommer und
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