Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
gedrückt, damit ich unter den schönsten Bäumen wählen konnte.
Zum Transport des grünen Tannenmöbels hatte ich Henry mitgenommen. Wir fanden einen Prachtbaum von über drei Meter Größe, mit schönen, weit ausladenden Zweigen. Henry versuchte, den Baum anzuheben, ächzte hörbar und schlug vor, einen kleineren Baum zu nehmen. Die kleineren kosteten nur zwanzig Mark, und wenn man bedenkt, daß wir bereits seit einer halben Stunde suchten und froren, wird jeder verstehen, daß wir die gewonnenen fünf Mark vor dem Kauf des Baumes in Schnaps und Bier umsetzten. Das brauchte meine Frau nicht einmal zu erfahren, denn die Preise für Bäume variieren von Jahr zu Jahr erheblich.
Wir hatten inzwischen zwar eine halbe Stunde verloren, aber die Zuneigung zu einem Zwanzigmarkbaum gewonnen. Da warnte Henry: »Denk an eure Kinder! Diese kleinen Geschöpfe werden den Baum sehen und hinaufklettern – welches Kind tut das nicht? Bis in die höchsten Äste wagen sie sich vor, ahnungslos steigen sie ins Unglück, der Baum neigt sich, stürzt, und da liegen die Kleinen …«
Er hatte die Hände vors Gesicht gelegt. In seinen Augen durfte ich Tränen vermuten. Nach diesem Zwischenfall besprachen wir in demselben Lokal, was zu tun sei.
Der Verkäufer hatte einen immer noch stattlich zu nennenden Baum für fünfzehn Mark. Er gefiel Henry und mir, aber als Henry ihn anhob und den dicken Stamm besah, machte er eine Bemerkung, auf die ich nie gekommen wäre, und ich war ihm dankbar. Wohlgemerkt – ich war! Heute sehe ich die Sache mit anderen Augen. Henry zeigte auf den Stamm: »Was habt ihr für einen Christbaumständer?«
Solche Fragen kann man natürlich nicht klipp und klar beantworten. Unser Christbaumständer ist ein herkömmliches, gußeisernes, grünlackiertes Stativ – kein Stativ, mehr ein Sockel, wie soll man das beschreiben? Henry meinte, daß man für diesen Stamm einen neuen Christbaumständer kaufen müßte, der nach grober Schätzung dreißig bis vierzig Mark kosten würde. Wie besprachen den Fall ausführlich bei dem Gastwirt, der uns gleich wiedererkannte und so viel einschenkte, daß wieder fünf Mark dahingingen. Um es kurz zu machen, sei verraten, daß der Baum für zehn Mark immer noch mannshoch war. Noch nadelte er nicht, obwohl er bläßlich im Ton war, aber was heißt das schon.
Baum ist Baum, wenn der viele Schmuck ein übriges tut.
Als ich bezahlen wollte, legte Henry die Hand auf meinen Zehnmarkschein: »Moment mal – was macht ihr nach dem Fest mit dem gewaltigen Baum?«
Nun hatte ich etwas getrunken, das gebe ich zu, und lachte über die dumme Frage. Jeder weiß, daß man einen Baum in Stücke sägt und verheizt oder ihn nachts vor die Haustür stellt – möglichst nicht vor die eigene.
Henrys unpassende Frage, ob die Nummer meiner Kragenweite mit der Zahl meines Intelligenzquotienten identisch sei, überhörte ich taktvoll. »Na ja, entschuldige«, lenkte er ein, »aber man kann übermannshohe Bäume nicht heimlich aus dem Haus schmuggeln!« Er griff nach einer Säge, die im Lager des Verkäufers lag, und war nur mit Mühe davon zurückzuhalten, eine Scheibe vom Stamm abzusägen, um zu beweisen, daß das keine Kleinigkeit wäre. Der Baumverkäufer wies uns vom Platz.
Also gut. Der Gastwirt erzählte, daß er persönlich kleine Bäume viel hübscher fände, man solle zum Fest nicht protzen, der Baum sei ein Symbol, nichts anderes.
Ich gab Henry die restlichen fünf Mark. Nach drei Minuten kam er mit einem sehr hübschen Bäumchen wieder. Wir umarmten uns, und der Wirt gab eine Runde aus. In meiner trunkenen Freude traf ich eine Entscheidung, die ich später bereute. Henry sollte auch ein Bäumchen haben – jawohl! Henry ist schließlich mein Freund – und Hugo auch – so heißt der Wirt –, wir haben ihm das Du angeboten, und er hat eingewilligt. Und da habe ich den Baum geteilt – durch drei, jawohl, Henry ist mein Zeuge –, und weil ich den Baum bezahlt hatte, durfte ich das obere Drittel behalten – jawohl!
ROBERT LEMBKE: Schenk-Zettel
ROBERT LEMBKE
Schenk-Zettel
Jeder ordentliche Haushalt hat, je nach Größe, ein Zimmer, einen Schrank, ein Schubfach oder auch nur eine Schachtel »Verschiedenes«. Bei mir ist es ein Schrank; und neben Schlüsseln, von denen niemand weiß, wo sie sperren, der Zigarrenkiste mit Briefmarken und Inflationsgeld von Onkel Anton, den ererbten Briefen, Locken und Bildern von Tante Anna, dem unterschriftsübersäten Bieruntersatz von der
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