Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
solides häusliches, aber keineswegs zurückgezogenes Leben. Eine Tür weiter lebte in einer zwischen modern und altdeutsch gemütlich eingerichteten Wohnung Rita P.
Rita war das uneheliche Ergebnis eines kurzen und heftigen Flirts, den ihre Mutter einmal mit einem Kellner aus der Leopoldstadt gehabt hatte. Obwohl Rita ihren Vater gar nicht mehr kennenlernte, sollte er doch noch eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Das war damals, als ihre Klassenkameradinnen bereits alle beim BDM waren und ihre Mutter hinging und erklärte, Rita sei nicht »würdig«, in den BDM einzutreten. Trotzdem wußte in der Klasse niemand, daß Rita keinen Ariernachweis hatte, sondern nur ihre Mutter. Aber eines Tages bekamen sie eine neue Lehrerin; die ließ eines der Mädchen, das immer besonders ruhig und unauffällig war, vortreten und beschimpfte es als Verräterin und Judensau. Da stand Rita auf und sagte: »Bitte – ich bin auch Halbjüdin!«
Rita kam dann an eine andere Schule und erfuhr nicht mehr, was aus dem jüdischen Mädchen geworden war. Aber sie wußte jetzt, wie falsch und ungerecht Menschen vorurteilen können und wie wichtig es ist, sich im Leben durchzusetzen. Diese Erfahrung kam ihr in ihrem späteren Beruf als Prostituierte sehr zustatten.
Einige Jahre hatte sie einen Freund. Er hieß Heinz und genoß im Milieu einiges Ansehen. Wegen seiner rötlichblonden Haare nannten ihn manche auch den »roten Heinz«. Später trennten sie sich in aller Freundschaft, und Heinz zog sich sozusagen ins »solide Geschäftsleben« zurück. Hin und wieder, etwa zu Weihnachten, besuchte er Rita und brachte ihr als kleine Aufmerksamkeit einen Brillantring oder etwas Ähnliches als Geschenk mit.
Eines Tages zog in eine der Wohnungen im vierten Stock am Naschmarkt ein junges Ehepaar ein. Dr. Arthur O. war Zahnarzt und kam aus Amsterdam. Der Grund, warum sie von Holland nach Wien übersiedelten, war allerdings Arthurs bildhübsche Frau Marjon, die als bekannte Sopranistin an die Wiener Volksoper engagiert worden war. Hätte das Haus in einer anderen Gegend oder gar in einer anderen Stadt gestanden, würde man Jahre brauchen, um zu wissen, wer nun alles hinter den vielen gleichen Wohnungstüren lebt. Doch so anonym geht es am Naschmarkt nicht zu. Es dauerte nur wenige Wochen, da wußte man wenigstens im vierten Stock, welche Partie Marjon demnächst in der Volksoper singen würde und was Arthur am letzten Wochenende auf der Jagd im Burgenland geschossen hatte. Und auch Marjon und Arthur waren über die Identität und die Umstände ihrer neuen Nachbarn bestens aufgeklärt.
Für den Kontakt im vierten Stock waren vor allem Michael und Herbert zuständig. Sie gossen Blumen oder fütterten Haustiere, wenn jemand im Haus verreiste, oder sammelten die Lottoscheine ein und brachten sie verläßlich in die nächste Trafik. Ab und zu veranstalteten sie einen kleinen Budenzauber, luden Freunde und auch ihre Nachbarn ein und stellten ihre Kochkünste unter Beweis.
Dann kam für Marjon und Arthur das erste Weihnachtsfest in Wien. Zu Krampus tobte Michael schrecklich verkleidet durch alle Wohnungen und tröstete anschließend die türkischen Kinder mit Selbstgebackenem und sich selbst mit einer ganzen Flasche Kognak, die er bei Rita fand. Zum 24. Dezember reisten aus den Niederlanden Arthurs Eltern an, um mit Sohn und Schwiegertochter gemeinsam Weihnachten zu feiern.
Früher hatten sie das Fest mit den Geschwistern und der ganzen Verwandtschaft im großen Haus der Eltern gefeiert, wo unten in der Halle immer eine drei Meter hohe Tanne aufgestellt wurde. Aber Marjon hatte am ersten Feiertag Vorstellung, und so kamen die Eltern eben nach Wien.
Arthur kaufte eine schöne Edeltanne, deren Ausmaße gerade eben noch in die Neubauwohnung paßten. Am Heiligen Abend putzte Marjon sie mit weißen Kerzen, bunten Kugeln und viel Lametta, während Arthur seine Eltern vom Flughafen abholte. So stand der Baum bereits in vollem Glanz, als er gegen vier mit ihnen am Naschmarkt eintraf. Eben hatte man sich zu einem Begrüßungsschluck zusammengesetzt, als es läutete. Arthur öffnete. Draußen stand Rita. Ihre ebenso attraktiven wie üppigen Formen wogten unter einem dezent glitzernden Brokatkleid. Sie drückte ihm eine in Sternchenpapier gewickelte Flasche Champagner in die Hand.
»Ich wollte nur frohe Weihnachten wünschen, Herr Doktor«, sagte sie. »Es ist doch Ihr erstes Weihnachten, ja – ich meine hier in Wien!«
»Das ist wirklich nett von Ihnen,
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