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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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am Freitagnachmittag.« Rica sah mich fragend an. »Versuchen wir unser Glück?«
    »Uns bleibt nichts anderes übrig. Die Eiche am Zaun bietet uns etwas Deckung. Bis dahin heißt es ducken und die Beine in die Hand nehmen!«
    Unbehelligt erreichten wir den einzelnen Baum, von dem aus es nur wenige Schritte zum geschlossen Tor waren. Ich überbrückte die Distanz mit ein paar schnellen Sprüngen und versuchte, das Tor zu öffnen.
    »Verschlossen«, meldete ich, als ich wieder bei Rica und der Eiche ankam. »Schade, dass ich den Schlüssel auf meiner Flucht verloren habe. Jetzt müssen wir über den Zaun.«
    Rica blickte zum Zaun hinüber und runzelte die Stirn. »Oben verläuft doppelter Stacheldraht.«
    »Deshalb bin ich in Prenzlau in den Baumarkt gegangen.«
    Ich wies Rica an, im Schutz der Eiche zu warten, und lief zum Zaun. An ihm hochzuklettern, war bei diesem Wetter kein Zuckerschlecken. Endlich war ich oben und holte die Drahtschere aus einer Jackentasche. Ich schnitt eine Lücke in den Stacheldraht, verstaute die Schere wieder und kletterte über den Zaun. Dabei verhakte meine Jacke sich im Stacheldraht. Ich geriet ins Straucheln und verlor den Halt.
    Jetzt erwies es sich als Vorteil, dass der unbefestigte Boden unter dem Trommelfeuer des Regens aufgeweicht war. Ich rollte mich etwas ungeschickt über die Schulter ab und spürte dabei ein scharfes Stechen im linken Arm. Doch es schien nur eine Prellung zu sein. Auf härterem Boden wäre die Verletzung wohl schlimmer ausgefallen. Immerhin, ich war jenseits des Zauns!
    »Ist dir was passiert?« Rica stand am Gitter und blickte besorgt hindurch.
    »Nicht allzu viel. Sei vorsichtig!«
    Rica erwies sich beim Klettern als sehr geschickt. Sie ließ die Tasche mit der Fotoausrüstung zu mir herunterfallen, und ich fing sie auf. Ricas Abstieg war wesentlich eleganter als meiner. Ich half ihr auf dem letzten Stück, nahm sie in die Arme und küsste sie.
    Sie lächelte mich an. »Du schmeckst nach Schlamm, Tarzan.«
    Ich nickte geistesabwesend und blickte suchend über den dunklen Innenhof. Noch immer kein Anzeichen möglicher Bewohner.
    »Wir scheinen keinen Alarm ausgelöst zu haben«, meinte auch Rica und zeigte zum Haus. »Gehen wir rein?«
    »Okay.«
    Ich führte sie zu der Holzbohlentür, durch die ich nach draußen gelangt war. Heute wie damals war sie verriegelt. Die angrenzenden Fenster waren mit Brettern zugenagelt.
    Aber zehn Meter zur Linken entdeckte ich ein Fenster, vor dem nur eine Plane hing. Der Wind spielte mit ihr und blähte sie knatternd auf. Ich riss die Plane ab und sah, dass die Fensterscheibe mehrere Sprünge aufwies. Mit der Drahtschere schlug ich die Scheibe ein und fuhr so lange über die Innenkanten des Rahmens, bis keine Splitter mehr hervorstachen. Dann zog ich mich an der Unterseite des Rahmens hoch und stieg in das Haus ein.
    Meine Lampe flammte auf, und das helle Licht fiel auf alte, wurmstichige Möbel. Schreibtische, Aktenschränke und Stühle wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten, alles satt mit Staub und Spinnweben überzogen.
    »Wie sieht's da drin aus?«, fragte Rica neugierig.
    »Ein lohnendes Objekt für deine Kamera.«
    »Wirklich?«
    »Ja, falls du ein Werbefoto für Staubtücher schießen willst.«
    Ich half ihr beim Einsteigen, und auch sie schaltete das Halogenlicht ihrer Taschenlampe an.
    »Das ist ja nicht sehr erheiternd«, fand sie. »Wenn in den Aktenschränken wenigstens Akten ständen!«
    »Ich glaube, viel mehr werden wir hier nicht finden. Ambeus und seine Leute hatten eine Woche Zeit, Tabula rasa zu machen.«
    Meine Annahme schien sich zu bestätigen, als wir die halb verfallenen Gänge erkundeten, durch die ich bei meiner Flucht gegangen war. Alles war verlassen, leer und dunkel. Ich versuchte mein Glück bei einem Lichtschalter, auch auf die Gefahr hin, dadurch jemandes Aufmerksamkeit zu erregen. Aber nichts geschah, die diskusförmigen Lampen an der Decke blieben dunkel.
    »Das Gebäude hängt wohl nicht am öffentlichen Stromnetz«, sagte ich. »Wahrscheinlich war Ambeus Selbstversorger und hat bei seiner Abreise den Generator abgeschaltet.«
    Wir erreichten den Gang mit den weiß gestrichenen, nummerierten Türen, und Rica sah sich sorgfältig um.
    »Also tatsächlich!« entfuhr es ihr.
    »Hast du mir etwa nicht geglaubt?«
    »Doch, schon«, sagte sie und legte eine Hand auf meinen rechten Arm. »Aber du musst zugeben, dass alles reichlich phantastisch klingt. Und so wirkt es auch jetzt noch. Einerseits die

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