Wenn die Dunkelheit kommt
nicht, und er dachte, sie sei vielleicht noch in seiner Wohnung beim Saubermachen, deshalb versuchte er es auch unter seiner eigenen Nummer, aber ohne Erfolg.
Nur ungern rief er Faye Jamison an, seine Schwägerin, Lindas einzige Schwester. Faye hatte Linda fast genausosehr geliebt, wie Jack sie geliebt hatte. Aus diesem Grunde brachte er Faye große Zuneigung entgegen -obwohl es nicht immer einfach war, sie gern zu haben. Sie war überzeugt, daß niemand ohne ihre Ratschläge ein ordentliches Leben führen konnte. Sie meinte es gut. Aber trotz aller guten Absichten war sie aufreibend, und es gab Zeiten, da fand Jack ihre sanfte Stimme so durchdringend wie eine Polizeisirene.
Zum Beispiel jetzt, am Telefon, nachdem er gefragt hatte, ob sie die Kinder am Nachmittag von der Schule abholen würde, und sie sagte: »Natürlich, Jack, gerne, aber wenn sie dich erwarten und du dann nicht auftauchst, werden sie enttäuscht sein, und wenn so etwas zu oft passiert, werden sie mehr als nur enttäuscht sein; dann werden sie sich verlassen vorkommen.«
»Faye...«
»Die Psychologen sagen, wenn Kinder schon ein Elternteil verloren haben, dann brauchen sie...«
»Faye, entschuldige, aber ich habe im Moment wirklich keine Zeit, um mir anzuhören, was die Psychologen sagen. Ich...«
»Aber gerade für so etwas solltest du dir Zeit nehmen, mein Lieber.«
Er seufzte. »Vielleicht hast du recht.«
»Alle modernen Eltern sollten sich mit Kinderpsychologie auseinandersetzen.«
Jack warf einen Blick auf Rebecca, die ungeduldig neben dem Telefon wartete. Er zog die Augenbrauen hoch und zuckte die Achseln, als Faye weiterschwafelte.
»Du bist ein altmodischer, instinktgeleiteter Vater, mein Lieber. Du glaubst, mit Liebe und Bonbons ist alles getan. Liebe und Bonbons gehören natürlich dazu, aber das ist doch bei weitem nicht alles...«
»Faye, jetzt hör mir mal zu, wenn ich den Kindern zehnmal sage, daß ich komme, dann bin ich neunmal davon auch wirklich da. Aber manchmal geht es eben nicht. In meinem Beruf hat man nicht immer geregelte Arbeitszeiten. Als Kriminalbeamter bei der Mordkommission kann man nicht einfach mittendrin weglaufen, wenn man eine heiße Spur verfolgt, nur weil man Dienstschluß hat. Außerdem haben wir hier eine Krise. Eine große. Also, holst du nun die Kinder ab?«
»Natürlich, mein Lieber«, sagte sie, und es hörte sich leicht gekränkt an.
»Ich bin dir sehr dankbar, Faye.«
»Nicht der Rede wert.«
»Tut mir leid, wenn ich... kurz angebunden war.«
»Das warst du nicht. Mach dir deshalb keine Gedanken. Sollen Davey und Penny zum Dinner bleiben?«
»Wenn es dir nichts ausmacht?«
»Natürlich nicht. Wir haben sie gerne hier, Jack.«
»Also dann, vielen Dank, Faye. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn Keith und du mir nicht hin und wieder aushelfen würdet; wirklich. Aber ich muß jetzt los. Bis später.«
Ehe Faye ihm noch weitere Ratschläge mit auf den Weg geben konnte, legte Jack auf, er fühlte sich erleichtert und zugleich schuldbewußt.
Im Westen hatte sich ein scharfer, heftiger Wind angestaut. Er fegte in einem erbarmungslosen Schwall durch die kalte graue Stadt und trieb den Schnee vor sich her.
Vor dem Hotel schlugen Rebecca und Jack die Mantelkragen hoch, zogen das Kinn ein und gingen vorsichtig über das glatte, schneebedeckte Pflaster.
Gerade als sie ihren Wagen erreichten, sprach sie ein Fremder an. Er war groß, dunkelhäutig und gut gekleidet. »Lieutenant Chandler? Lieutenant Dawson? Mein Boß möchte mit Ihnen sprechen.«
»Wer ist Ihr Boß?« fragte Rebecca.
Statt einer Antwort deutete der Mann auf eine schwarze Mercedes-Limousine, die weiter vorne an der Hotelauffahrt parkte. Er ging darauf zu, sichtlich überzeugt, daß sie ihm ohne weitere Fragen folgen würden.
Nach kurzem Zögern taten sie das wirklich, und als sie die Limousine erreichten, glitt das dunkel getönte Rückfenster herunter. Jack erkannte den Insassen sofort, und er sah, daß auch Rebecca wußte, wer der Mann war: Don Gennaro Carramazza, das Oberhaupt der mächtigsten Mafia-Familie in New York.
Der große Mann stieg vorne ein und setzte sich neben den Chauffeur, und Carramazza, der alleine im Fond saß, öffnete seine Tür und winkte Jack und Rebecca, zu ihm zu kommen.
»Was wollen Sie?« fragte Rebecca, machte aber keine Anstalten, in den Wagen zu steigen.
»Mich ein wenig unterhalten«, sagte Carramazza nur mit einem Hauch eines sizilianischen Akzents. Er hatte eine überraschend
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