Wenn die Dunkelheit kommt
Punks, Vergewaltiger und Schläger ohne Zahl gab - hier war die Luft geschwängert mit unvermischten Strömungen des Bösen, die man sehen, riechen und spüren konnte - wenn man, wie Lavelle, dafür empfänglich war. Mit jeder bösen Tat stiegen Ausdünstungen des Bösen aus der verderbten Seele auf und reicherten die knisternden Ströme in der Luft an, machte sie stärker, zerstörerischer.
Die Stadt war auch von anderen, davon völlig verschiedenen Strömen des Guten durchzogen; Effluvien, die von guten, rühmenswerte Taten vollbringenden Seelen aufstiegen. Es gab Ströme der Hoffnung und der Liebe, des Mutes und der Barmherzigkeit, der Unschuld und Güte, der Freundschaft, der Aufrichtigkeit und der Würde. Auch diese Energie war sehr mächtig, aber für sie hatte Lavelle absolut keine Verwendung. Ein Houngon, ein in der weißen Magie geschulter Priester, konnte diese Energie des Guten anzapfen, um zu heilen, um mit Beschwörungen zu helfen und Wunder zu wirken. Aber Lavelle war ein Bocor, kein Houngon. Er hatte sich den schwarzen Künsten verschrieben, den Riten des Congo und des Petra, nicht den verschiedenen Riten des Rada, der weißen Magie. Und sich dieser dunklen Sphäre der Zauberkunst zu weihen bedeutete auch, darauf beschränkt zu sein.
Sein langjähriger Umgang mit dem Bösen hatte ihn jedoch nicht freudlos, traurig oder auch nur mürrisch gemacht; er war ein fröhlicher Mann. Er lächelte breit, wie er da hinter dem Hause stand, am Rand des toten braunen Grases, und in das Schneegestöber hinauf schaute. Er fühlte sich stark, entspannt, zufrieden, fast überwältigend zufrieden mit sich selbst.
Er war groß, sechs Fuß drei Zoll. In seinen engen schwarzen Hosen und dem langen, knappsitzenden grauen Kaschmirmantel wirkte er noch größer. Er war ungewöhnlich hager, wirkte aber kräftig, obwohl er wenig Fleisch auf den Knochen hatte. Nicht einmal der unaufmerksamste Beobachter konnte ihn für einen Schwächling halten, denn er strahlte richtiggehend Selbstvertrauen aus, und wenn man seine Augen sah, wollte man ihm am liebsten schleunigst aus dem Weg gehen. Seine Hände waren groß, die Gelenke breit und knochig. Er hatte ein edles Gesicht, dem des Filmschauspielers Sidney Poitier nicht unähnlich. Seine Haut war außergewöhnlich dunkel, sehr schwarz, mit einem fast violetten Unterton, ein wenig wie die Schale einer reifen Aubergine. Schneeflokken schmolzen auf seinem Gesicht, blieben in seinen Augenbrauen hängen und überzuckerten sein drahtiges schwarzes Haar.
Das Haus, aus dem er gekommen war, war ein zweistöckiges Ziegelgebäude, pseudo-viktorianisch, mit einem falschen Turm, einem Schieferdach und vielen Zukkerbäckerverzierungen, aber stark mitgenommen, verwittert und schmutzig. Es war in den Anfängen des Jahrhunderts erbaut worden, in einer damals wirklich guten Wohngegend. Die meisten Häuser waren inzwischen zu Apartmentgebäuden umgebaut worden. Dieses hier nicht, aber es befand sich in dem gleichen baufälligen Zustand wie die anderen. Es war nicht das Haus, das Lavelle sich ausgesucht hätte; er mußte hier wohnen, bis er seinen kleinen Privatkrieg zu seiner Zufriedenheit beendet hatte; es war sein Versteck.
In einer Ecke von Lavelles Grundstück stand an der Garagenwand ein Schuppen aus Wellblech mit weißem Lackanstrich und zwei grünen Metalltüren. Er hatte ihn bei Sears gekauft; die Arbeiter hatten ihn vor einem Monat aufgestellt. Als er nun lange genug in den fallenden Schnee hinaufgeschaut hatte, ging er zu diesem Schuppen, öffnete eine der Türen und trat ein.
Hitze schlug ihm entgegen. Obwohl der Schuppen keine Heizung hatte und die Wände nicht einmal isoliert waren, herrschte in dem kleinen Gebäude -zwölf mal zehn Fuß - doch eine überaus hohe Temperatur. Lavelle war kaum eingetreten und hatte die Tür hinter sich zugezogen, da mußte er auch schon seinen Neunhundert-Dol-lar-Mantel ausziehen, um frei atmen zu können.
Ein sonderbarer, leicht schwefelähnlächer Geruch hing in der Luft. Die meisten Menschen hätten ihn als unangenehm empfunden. Aber Laveile schnupperte, atmete dann tief ein und lächelte. Er mochte den Gestank. Für ihn war es ein süßer Duft, denn es war der Geruch der Rache.
Der Schweiß war ihm ausgebrochen.
Er zog sein Hemd aus.
Er stimmte einen monotonen Singsang in einer fremdartigen Sprache an.
Er zog seine Schuhe aus, dann seine Hose und seine Unterwäsche.
Nackt kniete er auf dem Erdboden nieder.
Er begann, leise zu singen. Die Melodie
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