Wenn die Dunkelheit kommt
klingelte...
Zog ihn zum Telefon.
Er versuchte, sich dagegen zu wehren.
Es klingelte...
Plötzlich merkte er, daß er einen Schritt gemacht hatte.
Auf das Telefon zu. Und noch einen. Einen dritten. Ihm war, als schwebe er. Es klingelte... Er bewegte sich wie im Traum oder im Fieber. Er machte noch einen Schritt. Er wollte stehenbleiben. Und konnte nicht. Sein Herz hämmerte. Ihm war schwindlig, wirr im Kopf. Trotz der eiskalten Luft war sein Nacken schweißnaß. Das Klingeln des Telefons war wie die rhythmischen, glitzernden Pendelbewegungen der Taschenuhr eines Hypnotiseurs. Das Geräusch zog ihn unerbittlich vorwärts, so sicher, wie in alten Zeiten die Gesänge der Sirenen unvorsichtige Seeleute auf die Riffs und in den Tod gezogen hatten.
Er wußte, daß der Anruf für ihn war. Wußte es, ohne zu begreifen, wieso er das wußte.
Er nahm den Hörer ab: »Hallo?«
»Lieutenant Dawson! Ich bin entzückt, daß ich endlich Gelegenheit habe, mit Ihnen zu sprechen. Mein Bester, wir hätten schon längst einmal miteinander plaudern sollen.«
Es war eine tiefe Stimme, aber kein Baß, und sie klang weich und elegant; auffällig war der gebildete britische Tonfall, der durch die schwungvollen Rhythmen der für tropische Zonen typischen Sprachmuster drang. Eindeutig ein karibischer Akzent.
Jack fragte: »Lavelle?«
»Aber natürlich. Wer sonst?«
»Aber woher wußten Sie...«
»Daß Sie dort sind? Mein lieber Junge, ich behalte Sie doch im Auge, wenn auch mit einer gewissen Lässigkeit.«
»Sie sind hier, nicht wahr? Irgendwo in dieser Straße, in einem der Apartmenthäuser?«
»Weit entfernt. Harlem ist nicht nach meinem Geschmack.«
»Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte Jack.
»Das tun wir doch gerade.«
»Ich meine: persönlich.«
»Oh, ich glaube kaum, daß das notwendig ist.«
»Ich würde Sie nicht verhaften.«
»Das könnten Sie auch nicht. Keine Beweise.«
»Nun, dann...«
»Aber Sie würden mich unter irgendeinem Vorwand ein oder zwei Tage lang festhalten.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir Sie nur ein paar Stunden festhalten würden, nur um Ihnen einige Fragen zu stellen.«
»Tatsächlich?«
»Sie können mir vertrauen, wenn ich Ihnen mein Wort gebe. Ich tue das nicht leichtfertig.«
»Sonderbarerweise bin ich ziemlich sicher, daß das stimmt.«
»Warum kommen Sie also nicht her und beantworten uns einige Fragen, um gewisse Dinge klarzustellen und den Verdacht von sich abzuwälzen?«
»Tja, ich kann den Verdacht natürlich nicht von mir abwälzen, weil ich tatsächlich schuldig bin«, sagte Lavelle. Er lachte.
»Sie wollen sagen, daß Sie hinter den Morden stecken?«
»Sicher. Hat Ihnen das nicht jeder gesagt?«
»Sie haben mich also angerufen, um zu gestehen?«
Lavelle lachte wieder. Dann: »Ich habe Sie angerufen, um Ihnen einen Rat zu geben.«
»Ja?«
»Verfahren Sie so, wie es die Polizei in meinem Heimat land Haiti tun würde.«
»Und wie wäre das?«
»Man würde einem Bocor, der soviel Macht besitzt wie ich, nicht in die Quere kommen.«
»Stimmt das?«
»Man würde es nicht wagen.«
»Wir sind hier in New York, nicht auf Haiti. Abergläubi sche Ängste werden einem auf der Polizeiakademie nicht beigebracht.« Jack sprach mit ruhiger und gelassener Stimme, aber sein Herz hämmerte wie wild gegen seine Rippen.
Lavelle sagte: »Außerdem würde sich die Polizei auf Haiti gar nicht einmischen wollen, wenn die Opfer des Bocors so wertloser Dreck wären wie die Familie Carramazza. Sehen Sie mich nicht als Mörder, Lieutenant. Sehen Sie mich als Kammerjäger, der der Gesellschaft einen wertvollen Dienst erweist. So würde man es in Haiti betrachten.«
»Wir haben hier eine andere Philosophie.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
»Wir halten Mord für Unrecht, ganz gleich, wer das Opfer ist.«
»Wie albern. Was verliert die Welt, wenn die Carramazzas sterben? Diebe, Mörder und Zuhälter. Andere Diebe, Mörder und Zuhälter werden nachrücken und ihren Platz einnehmen. Nicht ich, verstehen Sie? Sie glauben vielleicht, daß ich genauso bin wie sie, nichts als ein Mörder, aber ich bin nicht von dieser Sorte. Ich bin Priester. Ich will den Drogenhandel in New York nicht beherrschen. Ich will ihn nur Gennaro Carramazza wegnehmen, als Teil seiner Strafe. Ich möchte ihn finanziell ruinieren, ihn so zurücklassen, daß er unter seinesgleichen keinen Respekt mehr genießt, und ich will ihm seine Freunde und seine Familie wegnehmen, sie abschlachten, ihm beibringen, was
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