Wenn die Dunkelheit kommt
Pennys Halsschlagader aufbissen, würde Lavelle die warme Kehle an seinen eigenen Lippen spüren und die kupfrige Süße ihres Blutes schmecken.
Schon beim Gedanken daran zitterte er vor Erregung.
Und wenn Lavelle den Zeitpunkt richtig gewählt hatte, würde Jack Dawson in der Wohnung der Jamisons sein, wenn seine Kinder in Stücke gerissen wurden. Der Detektiv müßte gerade rechtzeitig eintreffen, um zu sehen, wie die Horde über Penny und Davey herfiel. Er würde zwar versuchen, sie zu retten, aber er würde feststellen, daß man die kleinen Mörder nicht zurücktreiben und töten konnte. Er würde vollkommen machtlos danebenstehen müssen, während das kostbare Blut seiner Kinder über ihn spritzte.
Das war das beste daran.
Lavelle seufzte.
Die kleine Flasche mit Katzenblut stand auf dem Nachttisch. Er benetzte zwei Fingerspitzen damit, machte sich auf jede Wange einen karminroten Fleck, benetzte die Finger wieder und salbte sich die Lippen, dann zeichnete er, immer noch mit Blut, ein einfaches Veve auf seine nackte Brust.
Er legte sich auf das Bett und streckte sich aus.
Dann starrte er an die Decke und stimmte einen leisen Singsang an.
Bald waren sein Geist und seine Seele entrückt. Die Kinder waren nahe.
Das Mädchen war näher als der Junge.
Wie die kleinen Mörder konnte Lavelle ihre Anwesenheit spüren. Nahe. Sehr nahe. Nur noch eine Biegung im Rohr, dann ein gerades Stück, dann eine letzte Biegung.
Nahe.
Die Zeit war gekommen.
5
Penny stand auf der Kommode und spähte in das Rohr, als sie eine Stimme aus dem Inneren der Wand rufen hörte, aus einem anderen Teil des Ventilationssystems, aber jetzt nicht mehr weit entfernt. Es war eine spröde, tuschelnde, kalte, heisere Stimme, die ihr das Blut in den
Adern zu Eis gefrieren ließ. Die Stimme sagte: »Penny? Penny?« Sie hatte es so eilig, von der Kommode herunterzukommen, daß sie beinahe gestürzt wäre. Sie rannte zu Davey und packte und schüttelte ihn: «Wach auf! Davey, wach auf!«
Er hatte noch nicht lange geschlafen, nicht länger als eine Viertelstunde, aber er war trotzdem ganz verwirrt. »Hm? Was?«
»Sie kommen«, sagte sie. »Sie kommen. Wir müssen uns anziehen und hier verschwinden. Schnell. Sie kommen!«
Sie schrie nach Tante Faye.
6
Die Wohnung der Jamisons befand sich in einem zwölfstöckigen Gebäude an einer Querstraße, die noch nicht geräumt worden war. Die Straße war sechs Zoll hoch mit Schnee bedeckt. Jack fuhr langsam hinein und hatte ungefähr zwanzig Meter weit keine Schwierigkeiten, aber dann versanken die Räder in einer verborgenen Schneewehe, die eine Senke im Straßenbelag völlig ausgefüllt hatte. Einen Augenblick lang dachte er, sie steckten fest, aber dann legte er den Rückwärtsgang ein, den Vorwärtsgang, noch einmal den Rückwärts- und wieder den Vorwärtsgang und schaukelte, bis der Wagen freikam. Nach zwei Dritteln der Straße trat er auf die Bremse, und der Wagen kam vor dem richtigen Gebäude rutschend zum Stehen.
Er riß die Tür auf und stieg aus. Ein wahrhaft arktischer Wind traf ihn mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Er senkte den Kopf und stolperte um die Vorderseite des Wagens herum auf den Gehsteig; er konnte kaum etwas sehen, weil der Wind Schneekristalle vom Boden aufwirbelte und sie ihm ins Gesicht schleuderte.
Als Jack die Stufen hinaufstieg und die Glastüren zur Vorhalle aufstieß, war Rebecca schon da. Sie hielt dem erschrockenen Portier ihr Abzeichen und ihren Ausweis hin und sagte: »Polizei.«
»Was ist?« fragte der Portier. »Was ist passiert?«
Jack drückte auf den Liftknopf und sagte: »Wir wollen zu den Jamisons hinauf. Elfte Etage.« Die Türen einer Liftkabine öffneten sich. Jack und Rebecca stiegen ein. Jack rief dem Portier zu: »Bringen Sie einen Hauptschlüssel rauf. Ich hoffe zu Gott, daß wir ihn nicht brauchen.« Die Lifttüren schlössen sich. Der Aufzug fuhr an. Jack griff in seinen Mantel und zog seinen Revolver. Auch Rebecca zog ihre Waffe. Die Tafel mit den Leuchtziffern über der Tür zeigte an, daß sie die dritte Etage erreicht hatten.
»Dominick Carramazza haben seine Waffen nichts genützt«, sagte Jack mit unsicherer Stimme und starrte die Smith & Wessen in seiner Hand an.
Vierte Etage.
»Wir werden die Waffen ohnehin nicht brauchen«, sagte Rebecca. »Wir sind Lavelle zuvorgekommen. Ich weiß es.«
Aber ihre Stimme klang nicht mehr so überzeugt.
Jack wußte, warum. Die Fahrt von ihrer Wohnung hierher hatte ewig gedauert. Es
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