Wenn die Mandelblueten bluehen
schweigend den Blick auf das Schriftstück gesenkt hielt. "Natürlich komme ich auch für die Reisekosten auf."
Es war ein unglaublich großzügiges Angebot, und Daisy war überwältigt.
"Ihr Apartment in Festina Lente - so heißt mein Haus -
besteht aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad und liegt neben Francescos Räumen", fügte er hinzu.
"Festina Lente?" wiederholte sie fragend, weil ihr nichts anderes einfiel, und kam sich unglaublich linkisch vor.
"Das ist Latein und bedeutet ,Eile mit Weile', oder anders ausgedrückt: ,Immer mit der Ruhe'", erklärte Slade. "Meine Frau hat diesen Namen gewählt, um mich ständig auf subtile Art daran zu erinnern, wie wenig ihr mein hektischer Lebensstil gefiel. Direkt hätte Luisa es mir nicht gesagt, weil sie Konflikten prinzipiell aus dem Weg ging."
Und mich hält er wahrscheinlich für prinzipiell widerborstig und streitsüchtig, dachte Daisy pikiert.
"Ich habe hier ein Foto von Francesco. Möchten Sie es sehen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er das Bild aufs Bett.
Es zeigte einen kleinen, schwarzhaarigen Jungen mit großen, ernst blickenden braunen Augen, und Daisy verlor sofort ihr Herz an ihn. Er sah so lieb und verletzlich aus, ganz anders, als sie es nach Slades bisheriger Beschreibung erwartet hatte.
"Das Bild wurde vor ungefähr zwei Monaten aufgenommen", sagte Slade, als sie es hochhob, um es genauer zu betrachten.
"Francesco ist wegen der körperlichen und seelischen Spätfolgen des Unfalls klein für sein Alter, aber die Ärzte haben mir versichert, dass es sich im Lauf der Zeit geben wird."
Sie vermutete, dass er an ihr Mitgefühl zu appellieren und sie zu beeinflussen versuchte, doch das war ihr gleichgültig. Der Kleine sah so verloren und einsam aus!
"Kinder sind oft viel widerstandsfähiger, als man denkt", erwiderte sie sachlich.
In dem Augenblick kam die Schwester zurück, ein Tablett mit Rosinenbrötchen, Sahne und Erdbeermarmelade in Händen.
"Ich dachte mir, Sie möchten zum Kaffee auch eine Kleinigkeit essen." Sie begann, den Tisch zu decken, ohne zu merken, dass Slade sie amüsiert ansah.
Daisy fiel sein Blick durchaus auf. Slade Eastwood glaubt anscheinend, er braucht nur mit den Fingern zu schnippen, und schon tanzt alle Welt nach seiner Pfeife, dachte sie gereizt. Und wahrscheinlich war das auch der Fall! Jedem anderen wäre sie für die Hilfe unendlich dankbar gewesen, aber sie wollte Slade auf keinen Fall verpflichtet sein. Sie wusste nicht, woran es lag, aber sogar wenn er nichts sagte, brachte er sie aus dem Konzept.
So wie jetzt, als er entspannt dasaß, Kaffee trank und Brötchen aß, ganz so, als wäre er nur zu Besuch bei ihr.
Daisy aß ebenfalls ein Brötchen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie verstört sie war, doch es schmeckte wie Pappe.
Fieberhaft überlegte sie, was sie jetzt tun sollte.
Ronald suchte nach ihr, und was er sich vorgenommen hatte, führte er durch, denn er war energisch und - wie sie aus bitterer Erfahrung wusste - ein rücksichtsloser Egoist. Ihre Gefühle würden ihm völlig gleichgültig sein, und Widerstand würde ihn nur aufstacheln, seinen Willen durchzusetzen.
Ronald und sie hatten sich in Cambridge kennen gelernt, wo sie die Ausbildung zur Kindergärtnerin machte und er Mathematik und Physik studierte. Er war ein brillanter Student gewesen und hatte umwerfend gut ausgesehen, deshalb hatten sich die Frauen um ihn geschart. Von dem Moment an, als er sie in einer der Kneipen in der Stadt getroffen hatte, hatte er jedoch keine andere mehr angesehen. Das hatte sie jedenfalls gedacht.
Bei der Erinnerung daran, wie gutgläubig sie damals gewesen war, wurde ihr übel.
Als ihr Vater ein fabelhaftes Jobangebot in den USA erhalten und ihre Familie England verlassen hatte, war sie, Daisy, geblieben - Ronalds wegen. Ein Jahr später, als er sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, hatten sie geheiratet. Er hatte, wie sie jetzt wusste, ständig Affären nebenbei gehabt, und die Ehe hatte daran nichts geändert.
Daisy trank einen Schluck Kaffee und war sich nicht bewusst, dass Slade sie eingehend beobachtete. Sie war in Gedanken weit weg, bei einem kalten Dezemberabend im verschneiten Schottland, sechzehn Monate zuvor.
Sie hatte gerade einen Umschlag geöffnet, der mit der Post gekommen war und in dem sie eine Weihnachtskarte vermutete.
Stattdessen fielen Fotos heraus, eindeutige Bilder von Ronald und einer anderen Frau beim Liebesspiel. Wie benommen betrachtete sie sie einige Minuten
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