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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nahe vor dem Abgrund zu stehen und hinunterzublicken, verließ mich erst lange, nachdem ich meinen ersten Gehaltsscheck als erwachsener Mann verdient hatte.
     
    Leta
    Ich wachte gewöhnlich ein oder zwei Minuten vor dem ersten Hahnenschrei auf. Ich hasste diesen Hahn, und häufig hätte ich ihm morgens am liebsten den Hals umgedreht und eine Suppe aus ihm gekocht. Dieses kleine Hassgefühl gab mir allerdings den nötigen Ruck und ließ mich aufstehen. Mein Zopf war lang genug, um ihn in einen Knoten zu wickeln, und ich konnte auf ihm schlafen, ohne ihn öffnen zu müssen. Meist schlief ich aber mit offenen Haaren. Albert hatte eine törichte Vorliebe dafür, wie sie mein Kopfkissen bedeckten, und ich tat ihm den Gefallen, auch wenn das bedeutete, dass ich immer wieder mitten in der Nacht aufwachte und an meinen Haaren reißen und meinen Mann zur Seite schieben musste, um mich von seinem Gewicht zu befreien. Ehe meine Füße den Boden berührten, flocht ich mein Haar schon wieder, drehte es zu einem Knoten zusammen und nahm eine Haarnadel, um den Knoten festzustecken.
    Mein grünes Hauskleid hing im Kleiderschrank, und ich schlüpfte hinein, so leise wie die Baumwolle, die über meine Haut glitt. Albert regte sich, als das Wasser aus der Kanne in die Porzellanschüssel spritzte. Im Frühling und im Sommer schlief er länger als ich, da kein Feuer angeschürt werden musste, um das Zimmer zu heizen, ehe die Kinder aufwachten. Ich wusch mein Gesicht, trocknete es mit dem Handtuch und musterte ein Loch, das ich flicken musste. Die Bettpfanne auf der Veranda benutzte ich ungern und nur, wenn ich nicht mehr warten konnte. Meist jedoch ging ich auf dem Weg zu den Tieren, die gefüttert werden mussten, als Erstes auf das Plumpsklo.
    Ich öffnete leise die Tür und schlich die acht Schritte zur Küche hinüber, ohne dass ich ein Licht anmachte. Zuerst entzündete ich den Herd. Dann holte ich einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und füllte die Kanne der Mädchen, damit sie sich nach dem Aufstehen die Gesichter waschen konnten. Doch anstatt die Kanne gleich auf ihre Kommode zu stellen, schüttete ich diesmal das Wasser in den Behälter auf dem Herd. Albert blieb noch zehn Minuten liegen, während die Kinder schliefen – bis der Hahn von Neuem krähte, also etwa um fünf. Ich bat die Mädchen nie, mir beim Frühstückmachen zu helfen, da Albert und ich auf diese Weise einige Augenblicke für uns hatten, eine stille Minute, bevor die Sonne aufging. Sein Kaffee – der für mich wie Gift schmeckte – war fertig, wenn er sich zu seinem Stuhl neben dem Herd geschleppt hatte. Ich arbeitete lieber im Licht des Ofenfeuers, anstatt die Glühbirne an der Decke anzuschalten. Elektrisches Licht wirkte am frühen Morgen für mich zu harsch. Auch die Sonne weiß, dass es das Beste ist, sanft zu beginnen. Nachdem ich das Feuer im Bauch des Herdes entzündet hatte, maß ich den gemahlenen Kaffee ab und setzte Wasser auf.
    Albert kam herein, während ich den Fladenteig zubereitete. Meine Arme waren bis zu den Ellbogen voller Mehl, und meine Finger kneteten und drückten. Dreh, knet, drück, drück, dreh, knet, drück, drück.
    »Ich versteh nicht, wie du das in der Dunkelheit schaffst«, sagte er direkt an meinem Rücken. Er strich mir eine herausgerutschte Strähne hinters Ohr.
    »So wie du’s in Nummer elf schaffst.« Ich wies mit dem Kopf auf das Feuer im Ofen. »Außerdem ist’s nicht dunkel.«
    Ohne hinzusehen, wusste ich, dass er den Krug der Mädchen vom Tisch nahm, wo ich ihn abgestellt hatte, um ihre Waschschüssel mit dem Wasser zu füllen. Ich fasste ihn am Arm, als er sich der Veranda zuwandte. »Nimm Wasser aus dem Behälter«, sagte ich und zeigte auf den Herd.
    Er wirkte zuerst ein wenig verwirrt, doch dann nickte er und ging zu dem Schiffchen, in dem seitlich auf dem Herd das Wasser erhitzt wurde. Es konnte noch nicht allzu heiß sein, aber ich fühlte mich trotzdem besser, weil ich mir die Mühe gemacht hatte.
    »Ist doch nicht nötig, das Wasser zu kochen«, sagte Albert. »Es ist schließlich nicht schlecht geworden.«
    Aber ich reichte ihm trotzdem eine Schöpfkelle, und er füllte das Wasser in die Schüssel. Als er aus dem Zimmer der Mädchen zurückkehrte, hatte der Kaffee auf dem Herd bereits zu brodeln begonnen. Ich holte seinen Becher aus dem Schrank und schenkte ihm über dem Spülbecken ein, wobei die Hitze des Bechers meine Finger wärmte, je weiter er sich füllte. Kaum ein paar Krümel Satz schwammen darin.

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