Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
meiner Familie und meinem Haus den gleichen gierigen Händen ausgeliefert, die auch meinen Lohn auszahlten. Um ein Mann zu sein, braucht man ein eigenes Heim und keinen Boden, der irgendeiner Gesellschaft gehört. Man braucht sein eigenes Land, um etwas anbauen und Tiere halten zu können, damit man immer zu essen hat – mit oder ohne Streik. Ich baute das Haus mit meinen eigenen Händen und forderte dabei von meinen Brüdern und Freunden jeden Gefallen ein, den sie mir schuldeten. Eigentlich wollte ich immer noch einen zweiten Stock obendrauf setzen, aber bisher hatten wir nie genug Ersparnisse, um uns das leisten zu können.
    Ich machte mir nicht die Mühe, die Fensterklappen zu schließen – es sei denn, es regnete –, denn ich mochte es, wenn die Sonne aufging und mir ins Gesicht schien. Allerdings sah ich kaum ein bisschen Rosa am Himmel, ehe ich in die Nummer elf einfahren musste. Diese Fahrten zur Arbeit – wenn ich hin und her geworfen wurde, sobald ich über die Spurrinnen in der Straße fuhr, der kühle Geruch des feuchten Grases und der Geschmack des Hirsesirups noch auf meiner Zunge – waren die beste Zeit des Alleinseins. Gewöhnlich nahm ich jemanden mit zur Arbeit, so dass ich eigentlich nicht alleine war. Andererseits hatte ich keine gesprächigen Freunde. Ich wünschte mir immer, ich bräuchte eine halbe Stunde bis zur Grube und nicht nur eine Viertelstunde. Ich fuhr außen herum und vermied die Stadt und ihre typischen Aufwachgeräusche, so dass ich durch die Stille des anbrechenden Morgens rollen konnte. Bäume säumten den Weg. Um ehrlich zu sein, lag mir nicht viel an der Stadt – ganz anders als meinen Mädchen, die mich oft um einen Penny baten, damit sie sich zu besonderen Anlässen eine Süßigkeit oder eine Limonade kaufen konnten.
    Jonah lief an der Straßenseite, nicht einmal eine viertel Meile von der Grube entfernt. Ich trat auf die Bremse und hielt hinter ihm an.
    »Steig ein und fahr mit!«, rief ich ihm zu, als er sich umdrehte.
    »Gern.« Er kletterte in den Wagen, die Kappe in der Hand. Seine Grubenkluft hatte er bereits angezogen. Der Teil der Stadt, in dem die Schwarzen wohnten, lag unweit der Bergwerke, vielleicht eine halbe Stunde Fußmarsch von ihnen entfernt. »Wie geht’s?«, fragte er.
    »Kann nicht klagen.«
    »Hab von dem Baby gehört, das in Ihrem Brunnen. Wie nimmt’s die Familie?«
    »Nicht schlecht, würd ich sagen.«
    Bereits Jonahs Vater hatte in den Gruben gearbeitet und fuhr immer noch ein, als ich bei Galloway Coal anfing. Man konnte sagen, dass der Vater zu dieser Arbeit gezwungen worden war; er hatte sie nämlich im Gefängnis gelernt. Im Straflager. Sechs Jahre wegen Vagabundierens, und diese sechs Jahre über wurde er schlechter als ein Maulesel behandelt. Jonahs Vater saß seine Zeit ab und wurde entlassen. Aber in den Gruben verdiente man mehr als auf den Feldern, und eine andere Arbeit bekam man als Schwarzer nicht. Also zog er zwar die Sträflingskleidung aus, fuhr aber trotzdem wieder ein.
    Er war auch in der Gewerkschaft. Jonah wuchs in Dora auf, einer Stadt, die bald als Gewerkschaftsstadt bezeichnet wurde. Alles schwarze Arbeiter, die während des Streiks 1920 aus ihren Werkswohnungen geworfen wurden und Hütten aus Abfall, Brettern, verrottetem Holz und allem, was sie sonst noch finden konnten, zusammengenagelt hatten. Sie erklärten, nie mehr in einem Haus wohnen zu wollen, aus dem sie hinausgeworfen werden konnten. Auch nachdem der Streik vorbei war und sie wieder in die Gruben einfuhren, zogen sie nicht wieder in die Werkswohnungen zurück. Jonah meinte, sie stopften Papier in die Ritzen, wenn es regnete, und wenn der Himmel klar war, konnten sie durch die Löcher im Dach die Sterne sehen.
    Er und ich fuhren also gemeinsam weiter und konnten schon bald die Grube hören – und riechen –, noch ehe sie hinter einer Kurve vor uns auftauchte. Die Halde – ein breiter, langer Hügel aus dem Abraum, der bei der Förderung anfiel – gab einen starken Schwefelgeruch von sich, der ständig in der Luft hing. Das Klappern der Loren, die gegeneinanderstießen, das Rattern der Förderbänder, die Rufe der Kumpel, die einander etwas zubrüllten – alle oberirdischen Arbeiten klangen so rein wie eine Glocke, dem Sonnenlicht und jedem, der zufälligerweise vorbeikam, ausgesetzt. Die Verladestation, die teils aus Holz und teils aus Mechanik bestand, ragte über allem. Ihre Holzstützen waren hoch kompliziert und sahen aus der Ferne wie ein

Weitere Kostenlose Bücher