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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterbrach. »Nicht jetzt. Nicht das schon wieder. Redet einfach über eure Schule oder Freunde oder was die Nachbarn so machen. Ich will nur über Sachen reden, die mich zum Lachen bringen. Nichts, worüber ich nachdenken muss.«
    Wir beobachteten ihn, wie er mit einer Hand den Kopf abstützte und weiter Eintopf in sich hineinschaufelte. Virgie nickte nur, wobei sie ein wenig betroffen und schuldbewusst dreinblickte.
    »Missys kleiner Bruder hat in der Pause einen Frosch in den Mund gesteckt«, erklärte Tess. »Dafür hat er von einem anderen Jungen eine Lakritze bekommen. Aber ich wette, die hat wie Frosch geschmeckt.«
    »In meinen Mund würden zwei Frösche passen«, verkündete Jack.

9 Kaffee und Abendessen
    Jack
    An jenem Abend, an dem Tess zu Lou Ellen Talbert hinübergegangen war, kam sie das erste Mal so spät nach Hause. Sie schlich sich leise hinein und versuchte, niemanden zu wecken. Als wir Teenager waren, machte sie das mindestens einmal in der Woche. Sie sagte Mama immer vorher, wo sie hinwollte, und falls Mama etwas dagegen hatte, blieb sie zu Hause. Aber meistens nickte Mama nur zustimmend, und Pop merkte nicht einmal, wenn sie spät zurückkam, weil er immer schon früh ins Bett ging.
    Einmal schlich sie auf Zehenspitzen die Stufen zur hinteren Veranda hinauf und trat dabei in die Bettpfanne, die eigentlich ein alter Topf war, der nachts auf der Veranda stehen blieb, damit man zum Pinkeln nicht den ganzen Weg bis zum Plumpsklo laufen musste. Zu dieser Zeit hatte Pop bereits ein Bett für sich allein. Sein Röcheln war so schlimm geworden, dass er sich die ganze Nacht über hin und her warf. Er wollte Mama nicht stören. Trotz seiner vielen Bewegungen schlief er wie ein Toter. Das war besonders faszinierend, weil sein innerer Wecker alles übertraf, was ich kannte. Man konnte ihm sagen, man wolle um vier Uhr dreiunddreißig geweckt werden, und dann konnte man sein Geld darauf setzen – auch wenn wir so etwas nie taten –, dass es weder vier Uhr zweiunddreißig noch vier Uhr vierunddreißig war, wenn er einen an der Schulter berührte.
    Aber er bekam nicht mit, wie Tess die Verandastufen hoch schlich und über die Bettpfanne stolperte. Wir anderen hörten es in die Nähe der Tür laut scheppern. Dann zischte sie genauso laut: »Mist!« Das Platschen und weiteres Geklapper führten dazu, dass wir nicht mehr an uns halten konnten. Mamas Bett quietschte, so sehr musste sie lachen. Pop wachte immer noch nicht auf. Als Tess schließlich hereinhüpfte, weil sie versuchte, mit ihrem mittlerweile nackten Fuß nicht den Boden zu berühren, hatten wir uns allmählich wieder beruhigt.
    »Wenigstens ist keiner groß gewesen«, flüsterte sie, und wir mussten alle erneut die Köpfe in unsere Kissen vergraben, um Pop nicht doch noch aufzuwecken.
    Tess wohnt noch immer in unserem alten Haus, nachdem sie zwei Ehemänner überlebt hatte und zurückzog, um sich um Mama zu kümmern. Sie ist jetzt alleine dort, mit Ausnahme eines Schnauzers, der immer versucht, die Erde aus den Blumentöpfen zu fressen.
    Virgie begann nach zwei Jahren College mit dem Unterrichten. Sie machte im letzten Jahr ihren Abschluss, in dem man noch ein Zertifikat nach nur zwei Jahren bekam. Ich trug Zeitungen aus, und Tess half mir dabei. Wir sparten alle, damit Virgie aufs College konnte. Zwei Jahre lang bekam keiner neue Schuhe. Dann begann sie, etwa fünfzig Kilometer von Zuhause zu unterrichten, und lebte mit einem anderen Mädchen in einer kleinen Pension. Sie genoss die Zeit und lernte den Mann kennen, den sie später heiraten sollte, als sich beide zu einem Sommerkurs am Troy State College anmeldeten. Während des Krieges unterrichtete sie durchgehend, er hingegen wurde eingezogen. Als er zurückkam, reichte sie ihre Kündigung ein und gründete eine Familie.
    Sie lebt in Birmingham, und ihre Söhne bringen sie gelegentlich für ein langes Wochenende zu Tess, damit sich die beiden Schwestern sehen können. Manchmal stoße auch ich dazu, und wir streiten uns darüber, was Pops Lieblingskuchen war, wer nachts am lautesten schnarchte oder welcher von Virgies Verehrern derjenige gewesen war, der aus Versehen die Tür aufmachte, während Tess durchs Schlüsselloch schielte, und ihr so ein blaues Auge verpasste. Über Politik, Bücher oder Filme sprechen wir kaum, denn wir genießen es, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen und die Details aufzufrischen. Wenn wir alle da sind, können wir gegenseitig die Lücken

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