Wenn Die Nacht Anbricht
füllen.
Albert
Am ersten November schlief ich sechzehn Stunden am Stück. Dann aß ich einen Teller voll Gemüseeintopf, kehrte ins Bett zurück und schlief weitere zehn Stunden durch. Als ich schließlich wieder einen klaren Kopf hatte, konnte ich mich kaum mehr erinnern, warum ich Jonah eigentlich hatte einladen wollen. Ich wusste nur noch, dass ich die Idee für gut befunden hatte und es mir ziemlich egal war, was die anderen dazu sagen würden.
Als ich ihn einlud, lehnte er ab.
Ich war zu seinem Haus hinübergefahren, hatte an die Tür geklopft und mir die Veranda angesehen, während ich wartete. Die Tür und die Wände des Hauses wirkten noch solide. Aber große Teile der Veranda waren am Verfallen. Jonah hatte Sperrholz über die besonders schlimmen Stellen gelegt, damit man nicht durch den Boden brach. Seine Frau öffnete die Tür, ehe ich in die Hocke gehen und das Ganze genauer inspizieren konnte.
»Ma’am«, sagte ich. Sie war eine kräftig aussehende Frau, vielleicht einen Kopf größer als Leta. Mir fiel ihr Name nicht ein, obwohl ich mir sicher war, dass Jonah ihn während der letzten Jahre mehrmals erwähnt haben musste. Garantiert sogar.
»Mr. Moore«, erwiderte sie. »Brauchen Sie Jonah?«
»Ja, wär nett, wenn Sie ihn holen könnten. Geht es Ihnen gut?«
»Ja, Sir.« Sie wandte sich zum Gehen, hielt dann aber inne, ehe sie die Türklinke losließ. »Möchten Sie vielleicht einen Tee? Hab ihn gerade frisch gemacht.«
Ihrer Miene nach zu urteilen, rechnete sie nicht damit, dass ich ihr Angebot annehmen würde. »Gerne, danke.«
Als Jonah herauskam, lehnte ich am Verandageländer, wobei ich versuchte, es nicht zu sehr zu belasten. Die Hände hatte ich in meine Hosentaschen geschoben. Ich überlegte, wie er die Veranda am besten reparieren konnte, ohne neues Holz zu brauchen.
»Tag, Albert«, sagte er, als er unter die Tür trat. Das Fliegengitter schloss sich hinter ihm, nachdem er einen Schritt nach draußen gekommen war. »Die Kinder wissen, dass es keine gute Idee ist, hier draußen zu spielen«, fügte er hinzu, als er sah, wie ich die Verandabretter begutachtete.
»Ist das ganze Holz verrottet?«
»Leider. Bin noch nicht dazu gekommen, irgendwo neues aufzutun.«
Seine Frau kam mit zwei Gläsern Eistee heraus. Sie reichte mir meines zuerst, und ich sagte danke. Jonah nannte sie Renee, als er sich ebenfalls bedankte.
»Und? Was führt Sie hierher?«, fragte er nach einem Schluck. »Stimmt was nicht?«
»Doch, alles in Ordnung. Wollte nur wissen, ob du Lust hast, morgen zum Abendessen vorbeizuschauen, falls du nicht arbeitest.«
»Zum Abendessen?«
»Nichts Besonderes. Du kannst auch Renee mitbringen.«
Er fuhr sich mit der Hand über sein Kinn, als wollte er es nach Bartstoppeln abtasten. »Tja … Danke für die Einladung. Ich dachte, dass Sie nicht ganz bei Sinnen waren, als Sie mich das schon mal gefragt haben, vor ein paar Wochen. Bin mir immer noch nicht ganz sicher. Aber ich muss so oder so ablehnen.«
Mir war gar nicht die Idee gekommen, dass er mir absagen würde. »Warum?«
»Meinen Sie das ernst? Wollen Sie wirklich wissen, warum?«
Ich wünschte, er würde es nicht so schwierig machen, vor allem nachdem ich bereits so lange gebraucht hatte, um ihn überhaupt einzuladen. »Hör zu. Es gibt keinen Grund, Nein zu sagen. Ich hab mir das genau überlegt, und mir wurde klar, dass ich mich falsch verhalten hab.«
Er bedachte mich mit einem Blick, als wären mir plötzlich Flügel gewachsen. »Wovon reden Sie? Sie haben nichts falsch gemacht.«
»Das hab ich auch geglaubt«, erwiderte ich und war froh, dass er mir etwas entgegenkam. »Ich dachte bisher immer, dass ich alle fair behandle, weshalb alles andere im Grunde unwichtig war.« Nigger Town, die Gesetze über Restaurants und Busse, die Tatsache, dass die Polizei mit Schwarzen so umspringen konnte, wie es ihr gerade gefiel. Ich hatte gedacht, das ginge mich nichts an, weil ich mich selbst nicht so verhielt. Aber das hier war ich. Dieser Besuch – das war ich. »Was du über die Frau und ihr Baby gesagt hast, das hat mich überrascht. Das hätte eigentlich nicht so sein sollen, weil ich dich schon so lang kenn. Ich will mich dir gegenüber besser verhalten.«
Er ließ sich Zeit, seinen Tee zu trinken und ein- oder zweimal gegen das Verandageländer zu treten. Es war eine saubere Veranda, die blitzblank gefegt war. Aber weder hier noch an den Wänden des Hauses gab es Farbe. Farbe hätte sicher auch gegen das
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