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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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warum die meisten Leute an unserem Haus vorbeigingen. »Hast du ihr gezeigt, wo man das Baby reingeworfen hat?«
    »Das war noch vorher.«
    »Ach so.«
    »Sie ist dann hierher gezogen … Na ja, vielleicht so zwei Wochen später. Sie ist eine ziemliche Klatschbase und will immer alles über die Leute wissen. Mama weiß das, deshalb sollte ich ihr auch euer Haus zeigen und ein bisschen erzählen, wer ihr seid.«
    »Und? Was hast du ihr erzählt?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Dass deine Schwester sehr hübsch ist. Dass deine Mama und dein Papa jedem was geben, der sie darum bittet, dass sie gern in die Kirche gehen und gute Leute sind. Dass dein Papa nie auf uns runterschaut oder sich irgendwie so benimmt, als wär er was Besseres.«
    »Und nichts über mich?«
    »Äh … Weiß nicht.« Sie blickte so drein, als würde sie angestrengt nachdenken müssen. »Glaub nicht.«
    Ich wünschte, ich hätte sie nie dazu eingeladen, auf der Baumwolle herumzuhüpfen, selbst wenn sie tote Babys hinter ihrem Haus begraben hatte. Sie musste meine Gedanken erraten haben, denn sie fügte hastig hinzu: »Aber ich hab ihr gesagt, dass Mama immer meint, wenn es jemand gibt, der Gottes Werk tut, dann sind das die Moores.«
    Ich fand noch immer, dass mein Name wenigstens hätte erwähnt werden können. Viele Leute fanden mich wirklich liebenswert. Sie hätte viel über mich sagen können. Ich wollte ihr das gerade erklären, als die Haustür aufging und wir uns hastig hinter der Veranda versteckten. Es war jedoch nicht Lou Ellens Mama, die ihre Tochter schimpfen wollte, weil sie noch so spät draußen war. Es war Tante Lou, die auf die Veranda heraustrat.
    Sie war eine große Frau mit breiten Schultern. Es stand nur eine Mondsichel am Himmel, doch das Licht erhellte trotzdem ihr Gesicht, und ich erkannte sie als die Frau, die in der Baptisten-Laube so heftig geweint hatte.
    Ohne nachzudenken, wanderte ich danach nach Hause. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und kam irgendwann vor unserer Haustür an. Ich kletterte ins Bett und schaffte es kaum, mich zuzudecken, ehe ich einschlief. Ich litt nicht unter schlechten Träumen und wachte mit einem klaren Kopf auf, auch wenn es mir vorkam, als hätte ich gerade erst die Augen geschlossen. Ich mochte es, mit dem Geruch des Kaffees aufzuwachen und das Knacken des Feuers zu hören. Während meine Augen noch geschlossen waren, erfuhr ich nur durch meine Ohren und meine Nase, was los war. Ich konnte Mama in der Küche mit Töpfen klappern hören, während Papa das Feuer entfachte und dabei die Dielenbretter knarzten. Als er fertig war, holte er Wasser für unsere Waschschüssel. Ich wünschte, dass statt des Kaffeedufts der schwere Geruch nach gebratenem Speck in der Luft läge und unter die Decke kriechen würde. Aber Fladen waren auch nicht schlecht. Einige Minuten lang hätte ich noch unter der Decke bleiben und nichts tun können, als all das in mich aufzusaugen. Doch an diesem Morgen gab es Wichtigeres.
    »Virgie, Virgie, Virgie.« Ich sagte ihren Namen immer wieder, selbst als ich sah, wie sie die Stirn runzelte. »Virgie.«
    »Was?« Sie drehte sich nicht einmal auf meine Seite, sondern blieb nur regungslos mit verschränkten Armen über der Brust liegen.
    »Virgie.«
    »Ich hab gesagt: ›Was?‹«
    Sie klang verärgert und müde. Noch immer bewegte sie sich nicht, obwohl ich dringend wollte, dass sie sich etwas mehr für das Wichtige begeisterte, um das es mir an diesem Morgen ging. Außerdem war ich diejenige gewesen, die spät nach Hause gekommen und auf Zehenspitzen herumgeschlichen war, um den Schlüssel zu finden, den Mama auf der Veranda für mich liegen gelassen hatte. Ich war diejenige gewesen, die jedes Mal zusammengezuckt war, als sich Papa bewegt oder geschnarcht hatte, und die versucht hatte, nicht auf das knarrende Brett am Boden neben unserem Bett zu treten. Virgie hatte währenddessen tief geschlafen. Ich hingegen hatte Stunden und Stunden und Stunden über dagelegen und auf den Moment gewartet, an dem ich meine Neuigkeiten mitteilen konnte.
    Ich lehnte mich zu ihr und redete direkt in ihr Ohr. Sie hasste das.
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Lou Ellen Talberts Tante war, die das Baby in unseren Brunnen geworfen hat«, sagte ich.
    Das brachte sie dazu, sich doch auf meine Seite zu drehen, ein Auge zu öffnen und den Kopf etwas zu bewegen. Im Schlaf war ihr Speichel auf das Kissen getropft. »Wie kommst du darauf?«
    Ich erzählte ihr von den Gräbern der Babys und

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