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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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sehr merkwürdig sein, ein Objekt in ihrem Traum zu finden, das sie nicht selbst dorthin gepflanzt hatte. Und Seth musste aufpassen, dass sie es nicht im letzten Augenblick mit der Angst zu tun bekam.
    Schließlich stellte Nele sich wieder neben ihn und sah ihn fragend an. »Macht es einen Unterschied, von welcher Seite ich hindurchgehe?«
    Seth schüttelte den Kopf. »Nein. Es kommt nur darauf an, mit wem du es tust.«
    Es war ihr im Gesicht abzulesen, wie gründlich sie über diese Worte nachdachte. Und auch darüber, ob Seth derjenige war, an dessen Seite sie eine solche Pforte öffnen wollte. Es juckte Seth in den Fingern, einfach nach ihrer Hand zu greifen und sie hindurchzuzerren. Doch er wollte unbedingt vermeiden, dass sie sich erschreckte. Wer wusste, ob sie sonst nicht im letzten Moment doch noch eine Möglichkeit zur Flucht finden würde? Immerhin war sie eine Klarträumerin. Also wartete Seth, wartete und zwang sich, nicht ungeduldig mit den Zehen im Sand zu scharren – bis endlich Neles Neugier ihre Skepsis besiegte. Entschlossen griff sie nach der Klinke, drückte sie herunter und zog die Tür auf. Seth hielt den Atem an.
    Auf der anderen Seite der Schwelle lag silbrige Dunkelheit. Unendlich, undurchsichtig und zugleich bestechend klar und voller Bewegung. Eine Stille, so absolut, dass sie sogar das Meeresrauschen übertönte, schlug ihnen entgegen. Seth hörte Nele überrascht nach Luft schnappen. Beruhigend legte er eine Hand zwischen ihre Schulterblätter, ehe er sich dicht zu ihrem Ohr neigte, bis ihr Haar seine Wange streifte. Jetzt war es Zeit, zu handeln.
    »Keine Angst«, flüsterte er. »Das ist nur das Nachtglas. Die Grenze, die die Träume von der Wirklichkeit trennt.« Er schob Nele mit sanftem Druck nach vorn, unter dem Türrahmen hindurch, ehe sie zu lange darüber nachdenken konnte, ob sie das wirklich wollte. Die Tür schloss sich hinter ihnen und war im nächsten Augenblick verschwunden. Das Meer, der Strand und der Himmel verblassten zu farblosen Schemen, wie Landschaftsbilder hinter einer tief getönten Scheibe. Innerlich stieß Seth einen triumphierenden Jubelschrei aus. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
    »Das Nachtglas …?«, wiederholte Nele und tat ein paar zögernde Schritte in die Dunkelheit hinein. Langsam drehte sie sich einmal um die eigene Achse, ehe sie sich Seth wieder zuwandte. Ihr Mund öffnete sich, um etwas zu sagen – da verlor sie plötzlich den Boden unter den Füßen. Und in diesem Moment hätte Seth beinahe wirklich aufgeschrien. Diesmal jedoch vor Wut.
    Das Nachtglas trug sie nicht!
    Er fluchte und machte einen Satz nach vorn, doch zu spät. Seine Finger griffen ins Leere. Für einen Moment noch sah er Nele fallen, ihre helle Silhouette weit unter ihm immer kleiner werden.
    Dann verschluckte sie die Schwärze.
    »Seth!«
    Nele wachte von ihrem eigenen Schrei auf– und weil sie aus dem Bett fiel.
    Allerdings war ihr nicht sofort klar, dass es ihr Bett war, und der Sturz daher nicht besonders tief. Sie wusste nur, dass da von einem Augenblick zum nächsten kein Boden mehr unter ihr war, dass es dunkel war und dass sie fiel. Panisch riss sie die Augen weit auf, versuchte vergeblich, in der Finsternis etwas zu sehen, sich irgendwo in diesem Nichts an etwas festzuklammern.
    Doch erst als ihr bewusst wurde, dass die Welt nicht auf dem Kopf stand, dass die Holzdielen unter ihr nicht nachgaben, und dass sie die Hand fest in die Bettdecke verkrampft hatte, die ganz unmöglich um ihre Hüfte und ihre Beine verknotet war, beruhigte sich Neles Atem ein wenig. Sie war zu Hause. In ihrem Zimmer. Allein.
    Hastig krabbelte sie zurück in ihr Bett, entwirrte die Decke so schnell sie konnte und zog sie bis zur Nasenspitze nach oben. Ihr Atem zitterte, und mit ihm Neles ganzer Körper. Was war da gerade denn bloß passiert? Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie das letzte Mal so froh darüber gewesen war, einfach aufgewacht zu sein.
    Obwohl, so richtig wach fühlte sie sich immer noch nicht. Sie musste nur die Augen schließen, und schon war sie wieder dort: In diesem endlosen Raum hinter Seths Tür, der ganz aus silbrig schimmernder Schwärze bestand. Um sie herum, über und unter ihr, ohne Anfang und ohne Grenze– nur Schwarz, überall, und trotzdem nicht leer, im Gegenteil. Eine Dunkelheit voller Bilder und Gestalten, schattenhaft und verzerrt, ganz nah und gleichzeitig unerreichbar weit weg, unwirklich klar zu erkennen, obwohl es dort kein Licht gegeben hatte, überhaupt

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