Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
und sich weigerte, auch nur die Augen zu schließen, wohl so schnell nicht vergessen. Wenn sie es überhaupt jemals würden.
Auch Mommis Gesicht war nun sehr ernst, während sie den Kakao aus der Mikrowelle nahm und prüfend den kleinen Finger hineinsteckte, ehe sie zum Tisch hinüberkam.
»Ach, und wer hat kürzlich noch behauptet, eine heiße Milch mit Honig vor dem Schlafengehen wäre nicht mehr nötig?« Sie stellte die dampfende Tasse vor Nele auf den Tisch.
»Der Kater war schuld, Moms. Nur der Kater. Nichts weiter.« Nele seufzte leise. Kürzlich war wohl kaum der richtige Ausdruck dafür, wie lange ihre letzte heiße Milch mit Honig schon zurücklag. Aber Mommi darin zu widersprechen, hatte keinen Zweck, schon gar nicht frühmorgens. Also griff sie nach der Tasse und trank einen ersten vorsichtigen Schluck. Das war kein gutes Thema für eines der so seltenen gemeinsamen Frühstücke.
Glücklicherweise fand Mommi das offenbar auch, jedenfalls bohrte sie nicht weiter nach und setzte sich einfach wieder an den Tisch, um ihren Kaffee zu schlürfen.
Paps lächelte verständnisvoll. »Es war ja nur ein Traum«, sagte er. »Schlecht träumen tut doch jeder ab und zu.«
»Eben«, sagte Nele erleichtert. »Es war wirklich nicht schlimm, ehrlich, ich bin nur noch müde.« Und das stimmte sogar. Jetzt musste sie bloß schnell das Thema wechseln, ehe einer von den beiden Details wissen wollte. Aber das war zum Glück eine der einfachsten Aufgaben.
»Wann kommst du das nächste Mal nach Hause?« Sie legte eine Scheibe Käse auf ihr Brot und stupste mit dem Finger gegen Paps’ Zeitung.
Er faltete die Zeitung zusammen. »Wenn alles gut läuft, in drei Wochen. Pass solange bloß gut auf deine Mutter auf. Nicht dass ich wiederkomme und ein totales Wrack vorfinde, weil du sie nicht richtig gefüttert hast und sie jede Nacht auf dem Sofa verbringen lässt.«
Mommi warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Dann reichte sie Nele demonstrativ eine Brotdose, in die sie zwei liebevoll belegte Sandwiches und einen in Spalten geschnittenen Apfel gelegt hatte. »Ich habe dir Vanilletee in deine Thermoskanne gefüllt«, sagte sie mit Nachdruck.
Paps zwinkerte Nele zu, und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich weiß, dass du die Mutti bist«, sagte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann schob sie schnell die Reste ihres Käsebrots in den Mund und spülte sie mit dem noch ein bisschen zu heißen Kakao hinunter. Jetzt ärgerte sie sich doch, so spät dran zu sein. Aber sie war immerhin gestern schon sehr knapp gewesen– und ihr erster Kurs heute war wieder bei Frau Klein. Diesmal sogar eine Doppelstunde. Da war es ganz bestimmt keine gute Idee, ein zweites Mal zu spät zu kommen. Nele drückte ihren Vater noch einmal, ehe sie in ihre Schuhe schlüpfte und die Jacke überwarf. »Melde dich, wenn du da bist. Und lass dich bloß nicht klauen.«
Paps zauste ihr liebevoll die Haare. »Aber wo denkst du hin, kleiner Knallkopf.« Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören– aber auch einen letzten Rest Sorge. »Gib du gut auf dich acht, hörst du?«
Nele nickte. »Na klar. Mach ich. Viel Spaß in Prag!«
Eine letzte Umarmung, ein Abschiedsküsschen für Mommi, dann war sie aus der Tür und atmete tief die frische, feuchte Morgenluft ein. Doch während sie sich durch den noch graubraunen Frühlingsmorgen auf den Weg in Richtung Schule machte, war die seltsame Unruhe in ihrem Magen immer noch da. Und ein bisschen wünschte sie sich nun doch, mit ihrem Vater darüber gesprochen zu haben, ehe sie für eine ganze Weile wieder einmal keine Gelegenheit dazu haben würde.
***
Jari wachte lange vor dem Weckerklingeln auf. Das tat er meistens, damit er den Wecker ausschalten konnte, ehe er Lärm machte und seine Eltern aufscheuchte. Falls die nicht schon längst wach waren und sich anbrüllten. In seiner Kindheit hatte Jari geglaubt, dass Aufwachen zu einer bestimmten Zeit nicht so einfach planbar war, dass es entweder geschah oder nicht, wenn man nicht von einem Wecker– oder wütendem Geschrei– aus dem Schlaf gerissen wurde. Aber inzwischen schien sein Körper begriffen zu haben, dass Wachwerden vor der einprogrammierten Weckzeit die einzige Chance auf einen halbwegs friedlichen Morgen darstellte. Und gerade heute war ihm sehr danach, nachdem er gestern Abend noch so einiges an wüsten Beschimpfungen und geballten Fäusten durch die geschlossene Zimmertür über sich hatte ergehen lassen müssen. Natürlich.
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