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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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Wie auch nicht, nachdem er böswillig das Essen an sich gerissen hatte– es war genau das passiert, was er erwartet hatte. Aber er war eisern geblieben und hatte nicht aufgemacht, bis sein Vater das Brüllen leid wurde und sich verzog, obwohl jedes seiner Worte Jari mehr reizte, die Tür aufzureißen und zurückzuschreien. Ihm die Wut, der sich mit jedem polternden Fluch mehr in ihm aufstaute, ins Gesicht zu werfen, und die leere Schüssel gleich mit. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, das wusste Jari, würde vermutlich der Tag kommen, an dem er selbst die Beherrschung verlieren würde. Aber solange er irgendwie konnte, wollte er vermeiden, sich diese Blöße zu geben. Sich in seinen inneren Raum zurückzuziehen, hatte geholfen, auch wenn er sich danach– wie immer– ein wenig matschig und leer gefühlt hatte. Erschöpft genug jedenfalls, um früh einzuschlafen.
    Jari schaltete also den Wecker aus und stand auf, obwohl sein Zimmer jenseits der Bettdecke noch eisig kalt war. Hastig griff er nach seinen Klamotten und seiner Jacke und schnappte sich den Zimmerschlüssel vom Schreibtisch. Dann schlüpfte er, die Arme voller Stoff und die Tasche über der Schulter, ins Badezimmer. Er war schon oft dankbar dafür gewesen, dass das Bad in der gleichen Nische lag wie sein Verschlag, sodass er nicht über den Flur gehen musste, wenn er sich waschen oder auf die Toilette gehen wollte. In etwa acht von zehn Fällen gelang es ihm so, zwischen den beiden Räumen hin und her zu wechseln, ohne dass seine Eltern etwas davon mitbekamen. Das hatte ihm schon mehr ruhige Momente beschert, als er zählen konnte. Dafür musste er, wenn er die Wohnung verlassen wollte, an allen anderen Räumen vorbei.
    Jari duschte schnell und zog sich noch schneller an. Die Haare rubbelte er trocken, so gut es ging, und stülpte eine Mütze darüber. Jenseits der Badezimmertür war immer noch nichts zu hören. Mit etwas Glück würde er es heute vielleicht schaffen, nach draußen zu kommen, ohne allein durch seine Anwesenheit einen erneuten Krach auszulösen.
    So leise wie möglich schlich er auf den Flur. Der Boden klebte noch immer, und die Garderobe lag natürlich auch noch genauso da wie am Tag zuvor, das erkannte er selbst in der Dunkelheit. Die Wohnungstür lag am anderen Ende des Flurs. Vorsichtig setzte Jari auf Zehenspitzen einen Fuß vor den anderen. Noch immer war alles still, hinter der Tür zum Wohnzimmer genau wie hinter der Schlafzimmertür seiner Eltern.
    Dass sein Vater im Durchgang zur Küche stand, bemerkte er erst, als es schon zu spät war. Eine raue Hand packte ihn von hinten am Kragen und riss ihn herum, und Jaris Wange brannte von einem kräftigen Schlag, noch ehe er richtig begriff, was geschah.
    »Einfach abhauen, das könnte dir so passen!« Die Stimme seines Vaters war nicht viel mehr als ein heiseres Grollen tief in seinem Rachen. Jari konnte sein Gesicht kaum sehen. Aber das blassorange Licht von draußen spiegelte sich in seinen Augen, die vor Wut funkelten. Er hielt Jari nun so fest am Kragen seiner Jacke gepackt, dass Jari das Gefühl hatte, zu ersticken.
    »Wo ist der Schlüssel?«, blaffte sein Vater. »Du sperrst dich nie wieder ein, hast du das verstanden?«
    Jari zögerte nicht lange. Dies war böse. Böser als alles, was selbst in den letzten Wochen und Monaten am Horizont aufgezogen war, und doch eine logische Konsequenz all der Spannung, die sich zwischen ihnen kontinuierlich aufstaute. Eben noch hatte er gedacht, dass er seinem Vater nicht ewig würde ausweichen können– und nun plötzlich lag diese Bedrohung in der Luft, die sich wie ein bitterer Flaum auf seine Zunge legte. Er musste etwas tun, er musste hier raus, und zwar schnell, oder die Situation würde in einer Katastrophe enden. Mit einem Ruck riss er das Knie in die Höhe und hoffte, irgendwo zu treffen, wo es besonders wehtat.
    Sein Vater keuchte überrascht auf, und Jari wurde klar, er hatte sein Ziel verfehlt– nur den Oberschenkel getroffen, aber das immerhin mit voller Wucht. Die Schrecksekunde reichte aus, um sich aus dem Griff loszureißen und die Wohnungstür zu öffnen. Mit einem groben Fluch langte sein Vater nach ihm, bekam aber nur noch seine Mütze und ein Büschel Haare zu fassen. Ein kleines Opfer.
    »Komm sofort zurück, du Ratte!«, brüllte sein Vater ihm noch nach. Aber natürlich hörte Jari nicht darauf. Im Gegenteil. Er rannte, so schnell wie er noch nie in seinem Leben gerannt war, und wurde nicht ein bisschen

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